Der damalige Parteivorsitzende der SPD, Otto Wels, hielt am 23. März 1933 in der Krolloper zu Berlin im Weimarer Reichstag , seine letzte freie Rede, bevor er sich mit der überwiegenden Mehrheit der Stimmen als Verfassungsorgan selber entmachtete. Sein Versuch, angesichts der im Parlament aggressiv auftretenden Nationalsozialisten, den Widerstand der Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz auch mit Zitaten von Adolf Hitler zu begründen, wirkte nicht sehr kämpferisch.
Einige folgende, wesentliche Punkte der politischen Entwicklung sind meiner Ansicht wichtig:
- Der Sprecher der Zentrumspartei, der Bayrischen Volkspartei oder der Deutschen Staatspartei waren nicht mehr bereit, für den Erhalt der Weimarer Republik einzustehen.
- Das sogenannte Ermächtigungsgesetz setzte die erste demokratische Verfassung Deutschlands außer Kraft, und es waren die Abgeordneten der SPD, die gegen dieses Gesetz stimmten.
- Die Abgeordneten der KPD, die ihren eigenen Beitrag zum Niedergang der Republik geleistet hatten, konnten an der Abstimmung nicht mehr teilnehmen. Viele von ihnen waren bereits verhaftet, andere waren auf der Flucht.
- Die bürgerlichen Parteien hatten angesichts der Mehrheitsverhältnisse resigniert und hofften, durch ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, einige Positionen wahren zu können. An die Zukunft der Demokratie glaubten sie nicht mehr.
Weitere wichtige, beachtenswerte Punkte aus der Reichstagsrede von Otto Wels vom 23. März 1933:
Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.
Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben: „Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft.“ Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder.
Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz. Das Wort des Herrn Reichskanzler erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23. Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug.“
Das steht in einer Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitermarsch der Feinde zu verhindern. – zu dem Ausspruch des Herrn Reichskanzler bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung. Aus dem Gewaltfrieden kommt kein Segen; im Innern erst recht nicht.
Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch geschieht, und wenn man es unterlässt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei.
Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht…
Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: wir haben weder in Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht. Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inland eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen scheidet…
Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird. Wollten die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchten kein Ermächtigungsgesetz…
Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern Männer aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht…
Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Freiheit und des Sozialismus…
Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten…
Die oben genannten Punkte zeigen, wie aktuell die Rede von Otto Wels ist im Umgang mit der AfD, Pegida und anderen extrem rechten Bewegungen der Gegenwart.
Martin Kaufhold, „Die großen Reden der Weltgeschichte“, 3. Auflage 2008, Marix Verlag GmbH, Wiesbaden 2007