Einerseits stellen Matthias Weik & Marc Friedrich [1] fest: „Die EU ist überfordert, der Euro ist gescheitert und zerstört die europäische Idee. Die Südschiene Europas ist de facto bankrott; sie wird lediglich künstlich durch immense Subventionen und brutale Eingriffe in die Wirtschaft am Leben gehalten. Fakt ist: Die Südländer können und werden ihre Schulden niemals zurückzahlen! Wenn wir den Kern der europäischen Idee lebendig halten wollen, dann müssen den betroffenen Ländern Schuldenschnitte und Wirtschaftsaufbauprogramme nach dem Vorbild des Marschallplanes eingeräumt werden, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen hat.“
Andererseits stellt Daniel Stelter [2] die berechtigte Frage: „Deutschland, der Eurogewinner?“
Er argumentiert folgendermaßen weiter:
Wann immer die deutsche Position in der Eurokrise diskutiert wird, wird früher oder später – vor allem von ausländischen Kommentatoren – darauf hingewiesen, dass die Deutschen doch die eigentlichen Profiteure des Euro seien.
Stimmt das? Nimmt man die Perspektive des sprichwörtlichen „Mannes auf der Straße“ ein, so kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis.
Zu Zeiten der Deutschen Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währungen der Haupthandelspartner – der französische Franc, die italienische Lira, aber auch der US-Dollar – werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der D-Mark ab. Folglich war die deutsche Wirtschaft gezwungen, immer produktiver zu werden.
Wie heilsam die Wirkung einer starken Währung ist, lässt sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz ersehen. Das Wohlstandsniveau und die Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft sind weiter gestiegen, obwohl der Schweizer Franken über Jahrzehnte kontinuierlich an Wert gewonnen hat.
In den ersten Jahren nach der Euroeinführung profitierten die anderen Länder von dem deutlich niedrigeren Zinsniveau, welches sie von der Bundesbank auf die EZB übergegangenen Glaubwürdigkeit verdankten. Die Zinsen waren für die heutigen Krisenländer zu gering, was den bereits mehrfach erwähnten schuldenfinanzierten Boom auslöste. Für Deutschland, das damals an einer überhöhten Bewertung bei der Festlegung des Euro-Wechselkurses litt, waren die Zinsen jedoch zu hoch.
Die Rezession in Deutschland war deshalb schwerwiegender und dauerte länger, als es ohne den Euro der Fall gewesen wäre.
Deutschland war der kranke Mann Europas, während Spanien als Musterbeispiel für die gute wirtschaftliche Entwicklung galt. Erst später wurde deutlich, dass es sich in Spanien um eine gigantische, schuldenfinanzierte Immobilienblase handelte.
Um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, setzte Deutschland auf die Wiedergewinnung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit über Kostensenkung. Mit den stagnierenden Löhnen gingen auch die Steuereinnahmen zurück, während die Exporte zulegten. Der Euro hat es Deutschland also nicht „erlaubt“, Handelsüberschüsse zu erzielen; vielmehr hat er die Überschüsse geradezu erzwungen. Dass die Wirtschaft sich auf den Export konzentrierte, lag vor allem an der geringen Binnennachfrage.
Richtig ist: Die deutschen Unternehmen haben von der Lohnzurückhaltung in Deutschland und den schuldenfinanzierten Boom in den anderen europäischen Ländern profitiert. Die Exporte boomten.
Die Investitionsquote des Staates liegt nunmehr seit Jahren deutlich unter den Abschreibungen.
Die Schwäche der Binnennachfrage führt zu einem Ersparnisüberhang.
Als die Krise in Europa offensichtlich wurde, zogen deutsche Banken ihr Geld aus den Krisenländern ab. Dabei wurden sie entweder von öffentlichen Geldgebern abgelöst – Modell Griechenland – oder aber die Bundesbank musste den Geldabfluss durch die Gewährung von TARGET-II-Krediten ausgleichen. Das Risiko eines Zahlungsausfalls wurde damit sozialisiert und trifft auch jene deutschen Steuerzahler, die von dem Exportboom der letzten Jahre nicht profitiert haben und bei Schuldenschnitten zulasten privater Geldgeber weniger stark betroffen gewesen wären.
Auch von den Bemüungen der EZB, durch groß angelegten Ankauf von Staatsanleihen den Eurokurs zu drücken, die Kreditvergabe zu stimulieren, die befürchtete Deflation zu bekämpfen und damit am Ende Wachstum zu erzeugen, profitiert der Mann auf der Straße nicht.
Richtig ist: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft (IFW) in Kiel seit Krisenbeginn netto rund 60 Milliarden Euro an Zinszahlungen eingespart.
Richtig ist: Ein schwacher Euro hilft erneut der Exportindustrie. Doch für den Mann auf der Straße bedeutet er höhere Kosten durch steigende Importpreise und überdies verringert er den Effekt des fallenden Ölpreises.
Richtig ist außerdem: Die Vermögenspreise steigen. Doch das ist Umverteilung von unten nach oben. Während die Aktienkurse und Immobilienpreise steigen, erhält der Kleinsparer keine Zinsen mehr. Die DZ Bank beziffert den Verlust an Zinsen in den vergangenen fünf Jahren auf 190 Milliarden Euro.
Für den Durchschnittsdeutschen stellt sich die Geschichte folgendermaßen dar. Die Einführung des Euro führt zu einer langen Phase geringen Wachstums, hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Löhne.
Der Staat kürzte Ausgaben für Sozialleistungen und – viel schlimmer – für Infrastruktur und Investitionen.
Sind die Deutschen also wirklich die Hauptnutzer des Euro? Wohl kaum. Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden Europas nicht gegeben – und auch die hohen Exportüberschüsse -, dafür wohl aber einen höheren Lebensstandard und bessere Infrastruktur in Deutschland.
Auch acht Jahre nach dem Beginn der Krise im Jahre 2008 hat sich den grundlegenden Problemen des Euroraums nicht geändert.
Unterdessen hat sich die Politik von demokratischen Grundsätzen zunehmend entfernt. Immer mehr Entscheidungen werden von Gremien getroffen, die sich dem Votum der Wähler – wenn überhaupt – nur sehr indirekt stellen müssen.
Derweil nehmen die politischen Spannungen zu. In vielen Ländern sind in Bezug auf den Euro europakritische Parteien im Aufwind.
Die Bevölkerungen sind immer weniger bereit, den Weg der internen Abwertung zu gehen. Das wird die weitere Entwicklung Europas in den kommenden Jahren nachhaltig prägen.
Das Erstarken der vielen rechtsradikalen Parteien in den europäischen Ländern und auch in Deutschland sowie die hohen Schuldenberge destabilisieren zunehmen unser demokratisches, politisches, finanztechnische, wirtschaftliches und soziales System.
Die EU bedarf eines dringenden Umbaues, dahingehend, dass die Souveränität der jeweiligen Staaten wieder hergestellt wird. Haupt-Aufgaben der EU könnten sein: gemeinsame Sicherheitspolitik und Wirtschaftspolitik. Wesentliche Entscheidungen sollten den jeweiligen, beteiligten Ländern überlassen werden.
[1] Matthias Weik & Marc Friedrich, „DER CRASH IST DIE LÖSUNG“, Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten, Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG, Originalausgabe, Köln, 20. März 2014
[2] Daniel Stelter, “ EISZEIT IN DER WELTWIRTSCHAFT“ Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen, 2016 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main,