Migration, Chance oder Sicherheitsrisiko?

Jede einzelne Auswanderung ist ein Triumph des menschlichen Geistes, des Mutes und des Erfindungsreichtums, die nötig sind, um die von ängstlichen Reichen errichteten bürokratischen Barrieren zu überwinden.

Doch die Migration kann man auch als selbstsüchtig bezeichnen, denn wenn Arbeiter denjenigen den Rücken zuwenden, die von ihnen abhängig sind, und die Tatkräftigen die Schwächeren ihrem Schicksal überlassen, dann ignorieren sie die Verantwortung für andere, die unter noch verzweifelteren Umständen leben.


[1J Paul Collier, EXODUS Warum wir Einwanderung neu regeln müssen, S. 17, S. 286, Zweite Auflage, Oktober 2014, Siedler Verlag, München

Einwanderung kann also für das Aufnahmeland sinnvoll sein und für die Herkunftsländer ein Verlust.

Die Aufnahmeländer müssen allerdings aufpassen, dass der Anteil der Zugewanderten geregelt wird und das jeweils bestehende politische, wirtschaftliche, soziale System nicht destabilisiert werden könnte.

In Deutschland lebten im Jahre 2015 13,3 Prozent (OECD) im Ausland Geborene, in den Vereinigten Staaten von Amerika waren es 13,44 Prozent und im Vereinigten Königreich 13,3 Prozent. Die Schweiz war 2015 Spitzenreiter, denn sie beherbergte 27,9 Prozent, gefolgt von
Österreich mit 18,2 Prozent und Irland mit 16,9 Prozent.

Diese Lage beunruhigt viele konservativen Wählerinnen und Wähler. Sie befürchten, dass dieser relativ hohe Anteil an Migranten nicht assimiliert und in die Gesellschaft integriert werden könnte. Die sich seit 2015 verstärkte „Identitätspolitik“ verdrängt die vielen anderen wichtigen Tagesthemen von der politischen Agenda.

Die Zunahme der „Identitätspolitik“ in modernen liberalen Demokratien ist eine ihrer Hauptbedrohungen. Wenn es uns nicht gelingt, zu einem universalen Verständnis der menschlichen Würde zurückzukehren, werden wir zu ständigen Konflikten verurteilt sein.


[2 J Francis Fukuyama, Identität Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, S. 17, I. Auflage 2019, Hoffmann und Kampe Verlag, Hamburg

Die folgende Frage stellt sich: Ist die jeweilige Identität eines Volkes heutzutage noch zielführend, um wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch und machtpolitisch in einer globalisierten Welt bestehen zu können?

Möglicherweise ist ja der Begriff der „Identität“ selbst ein ungerechtfertigt positiv besetztes, hoffnungslos obsoletes Trugbild, bestenfalls relevant für die Alten, Schwachen, Zurückgebliebenen. Die globale Elite der Kosmopoliten – ganz gleich, ob ihre Mitglieder aus New York City, Paris oder Bangalore stammen – braucht so etwas wie „unverwechselbare Selbstheit“ längst nicht mehr.

Wie aber steht es heute um die reale „Umweltmigration„? Eine deprimierende Illustration der wirren Gesamtsituation liefert das Schicksal der haitianischen Auswanderer.

Eine britischen Studie betont, dass der Migrationsbedarf mit fortschreitendem Klimawandel deutlich steigen wird, dass aber nicht alle in der wachsenden Masse der Betroffenen sich fortbewegen könnte – und wenn ja, dann möglicherweise in die falsche Richtung!

Die Militärs und Geheimdienste in aller Welt machen sich ohnehin schon längst Sorgen über die möglicherweise unvorhersehbaren Folgen von Klimaveränderungen für die heilige Kuh des Staatlichen schlechthin: die nationale Sicherheit. Gerade aus Amerika kommen in jüngster Zeit Aussagen wie „Der Klimawandel wird die Fähigkeit des Verteidigungsministeriums beeinträchtigen, die Nation zu verteidigen, und stellt ein unmittelbares Risiko für die nationale Sicherheit der USA dar“ (US Department of Defense, 2014) und „Der Klimawandel ist eine unmittelbare und wachsende Bedrohung für unsere nationale Sicherheit. Er trägt zu größeren Naturkatastrophen, Flüchtlingsströmen und Konflikten um Basisressourcen wie Nahrungsmittel und Wasser bei“ (White House, 2015).

Wie ernst auch diese Entscheidungsträger den potenziellen Zusammenhang zwischen Klima und Konflikt nehmen, demonstriert ein multinationaler Bericht, den die wichtigsten westlichen Wirtschaftsmächte zur Vorbereitung des G7-Gipfels 2015 in Deutschland vorlegten (Rüttinger u.a. 2015). Dieser Report beginnt mit folgenden Sätzen: „Der Klimawandel ist eine globale Bedrohung für die Sicherheit im 21. Jahrhundert„.


[3 J Hans Joachim Schellnhuber; SELBSTVERBRENNUNG Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff, S. 671, S. 677, S.682, S. 688/89, 1. Auflage, C. Bertelsmann Verlag, München

Es zeigt sich also das die Massenmigration vielfaltig ist. Sie wird in der Regel durch Katastrophen und Krisen ausgelöst. Allerdings stellt Paul Collier [4] fest:

Internationale Massenmigration ist die Folge extremer globaler Ungleichheit. Wie nie zuvor sind sich junge Menschen in den ärmsten Ländern bewusst, welche Chancen sich ihnen anderswo bieten. Die Ungleichheit ist in den letzten zwei Jahrhunderten entstanden und wird im kommenden Jahrhundert beseitigt werden. Heute schließen die meisten Entwicklungsländer rasch zu den einkommensstarken Ländern auf. Diese Annäherung ist die große Geschichte unserer Zeit. Massenrnigration ist daher kein dauerhaftes Merkmal der Globalisierung. Ganz im Gegenteil ist sie eine vorübergehende Reaktion auf eine hässliche Phase, in welcher der Wohlstand noch nicht globalisiert ist. In hundert Jahren wird sich die Welt in Bezug auf Handel, Informationen und Finanzen noch stärker integriert sein als heute, während die Nettomigration deutlich geringer sein wird.


[4J Paul Collier, EXODUS Warum wir Einwanderung neu regeln müssen, S. 286, Zweite Auflage, Oktober 2014, Siedler Verlag, München

Es sind also durchaus Chancen für Migranten vorhanden und für die heimische Wirtschaft in den Aufnahmeländern sichtbar. Allerdings darf die Migration einen wohl definierten Schwellwert (Eine Obergrenze, die passend für unsere Gesellschaft definiert werden muss!) nicht überschreiten. Die Größe der Auslandsgemeinde muss sich in einem ausgewogenen Gleichgewicht mit der jeweiligen Migrationsrate befinden, damit die sozialen Kosten nicht ausufern. Das Paket der Obergrenze sollte durch Auswahl, Integration und Legalisierung definiert werden.

Übersteigt die Migrationsrate den wohldefinierten Schwellwert bedeutsam und unkontrolliert, ist die nationale Sicherheit gefährdet. Die Aggression und Gewalt steigt und könnte zum Bürgerkrieg führen.

Daher ist auch bedeutsam, dass die Klimamigration durch zweckmäßige Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung auf ein zulässiges Maß begrenzt wird. Sonst würde eine große humanitäre Krise vorprogrammiert werden, die sich nicht zuletzt in Konflikten bis hin zum Bürgerkrieg entladen könnte, stellt Schellnhuber[3] fest.






Kann das noch demokratische Europa gerettet werden?

Einerseits stellen Matthias Weik & Marc Friedrich [1] fest: „Die EU ist überfordert, der Euro ist gescheitert und zerstört die europäische Idee. Die Südschiene Europas ist de facto bankrott; sie wird lediglich künstlich durch immense Subventionen und brutale Eingriffe in die Wirtschaft am Leben gehalten. Fakt ist: Die Südländer können und werden ihre Schulden niemals zurückzahlen! Wenn wir den Kern der europäischen Idee lebendig halten wollen, dann müssen den betroffenen Ländern Schuldenschnitte und Wirtschaftsaufbauprogramme nach dem Vorbild des Marschallplanes eingeräumt werden, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen hat.“

Andererseits stellt Daniel Stelter [2] die berechtigte Frage: „Deutschland, der Eurogewinner?“

Er argumentiert folgendermaßen weiter:

Wann immer die deutsche Position in der Eurokrise diskutiert wird, wird früher oder später – vor allem von ausländischen Kommentatoren – darauf hingewiesen, dass die Deutschen doch die eigentlichen Profiteure des Euro seien.

Stimmt das? Nimmt man die Perspektive des sprichwörtlichen „Mannes auf der Straße“ ein, so kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis.

Zu Zeiten der Deutschen Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währungen der Haupthandelspartner – der französische Franc, die italienische Lira, aber auch der US-Dollar – werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der D-Mark ab. Folglich war die deutsche Wirtschaft gezwungen, immer produktiver zu werden.

Wie heilsam die Wirkung einer starken Währung ist, lässt sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz ersehen. Das Wohlstandsniveau und die Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft sind weiter gestiegen, obwohl der Schweizer Franken über Jahrzehnte kontinuierlich an Wert gewonnen hat.

In den ersten Jahren nach der Euroeinführung profitierten die anderen Länder von dem deutlich niedrigeren Zinsniveau, welches sie von der Bundesbank auf die EZB übergegangenen Glaubwürdigkeit verdankten. Die Zinsen waren für die heutigen Krisenländer zu gering, was den bereits mehrfach erwähnten schuldenfinanzierten Boom auslöste. Für Deutschland, das damals an einer überhöhten Bewertung bei der Festlegung des Euro-Wechselkurses litt, waren die Zinsen jedoch zu hoch.

Die Rezession in Deutschland war deshalb schwerwiegender und dauerte länger, als es ohne den Euro der Fall gewesen wäre.

Deutschland war der kranke Mann Europas, während Spanien als Musterbeispiel für die gute wirtschaftliche Entwicklung galt. Erst später wurde deutlich, dass es sich in Spanien um eine gigantische, schuldenfinanzierte Immobilienblase handelte.

Um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, setzte Deutschland auf die Wiedergewinnung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit über Kostensenkung. Mit den stagnierenden Löhnen gingen auch die Steuereinnahmen zurück, während die Exporte zulegten. Der Euro hat es Deutschland also nicht „erlaubt“, Handelsüberschüsse zu erzielen; vielmehr hat er die Überschüsse geradezu erzwungen. Dass die Wirtschaft sich auf den Export konzentrierte, lag vor allem an der geringen Binnennachfrage.

Richtig ist: Die deutschen Unternehmen haben von der Lohnzurückhaltung in Deutschland und den schuldenfinanzierten Boom in den anderen europäischen Ländern profitiert. Die Exporte boomten.

Die Investitionsquote des Staates liegt nunmehr seit Jahren deutlich unter den Abschreibungen.

Die Schwäche der Binnennachfrage führt zu einem Ersparnisüberhang.

Als die Krise in Europa offensichtlich wurde, zogen deutsche Banken ihr Geld aus den Krisenländern ab. Dabei wurden sie entweder von öffentlichen Geldgebern abgelöst – Modell Griechenland – oder aber die Bundesbank musste den Geldabfluss durch die Gewährung von TARGET-II-Krediten ausgleichen. Das Risiko eines Zahlungsausfalls wurde damit sozialisiert und trifft auch jene deutschen Steuerzahler, die von dem Exportboom der letzten Jahre nicht profitiert haben und bei Schuldenschnitten zulasten privater Geldgeber weniger stark betroffen gewesen wären.

Auch von den Bemüungen der EZB, durch groß angelegten Ankauf von Staatsanleihen den Eurokurs zu drücken, die Kreditvergabe zu stimulieren, die befürchtete Deflation zu bekämpfen und damit am Ende Wachstum zu erzeugen, profitiert der Mann auf der Straße nicht.

Richtig ist: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft (IFW) in Kiel seit Krisenbeginn netto rund 60 Milliarden Euro an Zinszahlungen eingespart.

Richtig ist: Ein schwacher Euro hilft erneut der Exportindustrie. Doch für den Mann auf der Straße bedeutet er höhere Kosten durch steigende Importpreise und überdies verringert er den Effekt des fallenden Ölpreises.

Richtig ist außerdem: Die Vermögenspreise steigen. Doch das ist Umverteilung von unten nach oben. Während die Aktienkurse und Immobilienpreise steigen, erhält der Kleinsparer keine Zinsen mehr. Die DZ Bank beziffert den Verlust an Zinsen in den vergangenen fünf Jahren auf 190 Milliarden Euro.

Für den Durchschnittsdeutschen stellt sich die Geschichte folgendermaßen dar. Die Einführung des Euro führt zu einer langen Phase geringen Wachstums, hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Löhne.

Der Staat kürzte Ausgaben für Sozialleistungen und – viel schlimmer – für Infrastruktur und Investitionen.

Sind die Deutschen also wirklich die Hauptnutzer des Euro? Wohl kaum. Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden Europas nicht gegeben – und auch die hohen Exportüberschüsse -, dafür wohl aber einen höheren Lebensstandard und bessere Infrastruktur in Deutschland.

Auch acht Jahre nach dem Beginn der Krise im Jahre 2008 hat sich den grundlegenden Problemen des Euroraums nicht geändert.

Unterdessen hat sich die Politik von demokratischen Grundsätzen zunehmend entfernt. Immer mehr Entscheidungen werden von Gremien getroffen, die sich dem Votum der Wähler – wenn überhaupt – nur sehr indirekt stellen müssen.

Derweil nehmen die politischen Spannungen zu. In vielen Ländern sind in Bezug auf den Euro europakritische Parteien im Aufwind.

Die Bevölkerungen sind immer weniger  bereit, den Weg der internen Abwertung zu gehen. Das wird die weitere Entwicklung Europas in den kommenden Jahren nachhaltig prägen.

Das Erstarken der vielen rechtsradikalen Parteien in den europäischen Ländern und auch in Deutschland sowie die hohen Schuldenberge destabilisieren zunehmen unser demokratisches, politisches, finanztechnische, wirtschaftliches und soziales System.

Die EU bedarf eines dringenden Umbaues, dahingehend, dass die Souveränität der jeweiligen Staaten wieder hergestellt wird. Haupt-Aufgaben der EU könnten sein: gemeinsame Sicherheitspolitik und Wirtschaftspolitik. Wesentliche Entscheidungen sollten den jeweiligen, beteiligten Ländern überlassen werden.

 

 

[1] Matthias Weik & Marc Friedrich, „DER CRASH IST DIE LÖSUNG“, Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten, Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG, Originalausgabe, Köln, 20. März 2014

[2] Daniel Stelter, “ EISZEIT IN DER WELTWIRTSCHAFT“ Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen, 2016 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main,

Struktur der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)

Richard C. Schneider beschreibt in seinem Buch , “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT?“ u.a. die Struktur der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA):

„Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde ist das höchste Amt in der palästinensischen Politik. Er ist der Regierungschef und hat nicht nur, wie etwa in Deutschland , repräsentativen Charakter. Der Ministerpräsident wird direkt vom Präsidenten ernannt, also nicht vom Parlament oder gar vom Volk gewählt. Er ist nicht Teil des Parlaments und wird obendrein völlig unabhängig von der regierenden Partei bestimmt. Er sollte allerdings die Regierungskoalition im Parlament oder zumindest die stärkste Fraktion repräsentieren.

Im Juni 2005 verabschiedete das palästinensische Parlament ein Gesetz, das eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl von 88 auf 132 vorsah.

Nach dem palästinensischen „Grundgesetz“, das Arafat erst im Jahre 2002 unterzeichnete, ist die Struktur der PA in drei Teilen organisiert, wie dies für die meisten Demokratien gilt: in Legislative, Judikative und Exekutive. Allerdings: Die Judikative ist bis heute nicht ordentlich formalisiert worden.

Der Präsident der PA wird direkt vom Volk gewählt und ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der bewaffneten Kräfte (von einer Armee kann noch nicht gesprochen werden, da es einen palästinensischen Staat noch nicht gibt). In einem Anhang zum Grundgesetz, der 2003 verabschiedet wurde und möglicherweise eines Tages Teil der Palästinensischen Verfassung werden könnte, wurde festgehalten, dass die PA eine offizielle bewaffnete Streitmacht unterhält, die nach Schätzungen von Beobachtern zwischen 40 000 und 80 000 Mann stark ist. Gemäß den Abkommen mit Israel dürfen es nur 30 000 sein.

Die „Polizei“ verfügt über gepanzerte Autos und eine begrenzte Anzahl automatischer Waffen. Die Sicherheitskräfte haben, gemäß dem Abkommen mit Israel, die Verantwortung für die Bekämpfung von Terrorismus. Und sie müssen, müssten mit Israel die allgemeine Sicherheit koordinieren.“

Das Problem, das die PA seit ihrer Entstehung hat, ist ihre Doppelgesichtigkeit. Sie soll einst zur Regierung eines noch zu gründenden palästinensischen Staates werden. Im Grunde hat sie ja bereits Regierungsgewalt, aber sie hat sich nie entscheiden können, den Terrorismus als „Mittel der Politik“ aufzugeben. Viele Palästinenser argumentieren, es sei ihr legitimes Recht, für sie sind die Attentate (auch Selbstmordattentate auf israelische Zivilisten) Mittel des Befreiungskampfes, ihr „Unabhängigkeitskrieg“. Dass sie mit gezielten und gewollten Angriffen gegen Zivilisten alle Regeln des Kriegsrechts und der international anerkannten Normen verletzen, ist ihnen gleichgültig. Als unterdrückte Nation sehen sie sich nicht auf gleicher Augenhöhe mit einem bereits staatlich existierenden Feind, die Kriegsmittel sind notgedrungen andere, da man nicht über eine eigene Armee verfügt. Dabei übersehen die Palästinenser jedoch, dass sie zum Aufbau einer Eigenstaatlichkeit, die mit dem Friedensprozess von Oslo beginnen sollte, bereits die ersten staatlichen Institutionen ihr Eigen nennen: ein Parlament, eine Regierung, Ministerien.

Die Grenzen zum „Terror“ bleiben jedoch fließend, und Israel ebenso wie die internationale Staatengemeinschaft können sich nur schwer auf dieses Gebilde verlassen, das sich PA nennt. Der innere Weg der Palästinensischen Autonomiebehörde wird mitentscheiden, ob die Palästinenser endlich in hoffentlich naher Zukunft einen eigenen Staat haben werden – und können.

 

Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

EU-Israel-UNO: der israelisch-arabische Konflikt

Die Beziehungen zwischen der EU und Israel laufen auf zwei Ebenen ab. Auf der politischen Ebene versucht die EU eine Vermittlerrolle im Friedensprozess einzunehmen und zu helfen, aber auch eigene Interessen, die sich zum Teil von denen der Amerikaner unterscheiden, durchzusetzen. Die andere Ebene ist die pragmatisch-bürokratische. Im ganz normalen Alltag gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen der EU und Israel im Handel, in Wissenschaft, Kultur und Erziehung. Richard C. Schneider [1]

Aber erst die Besetzung nach dem Sechs-Tage-Krieg hatten diese Konflikte in Israel voll ausbrechen lassen. Von streng religiösen jüdischen Philosophen bis hin zu linksgerichteten Israelis hatten sich viele gegen die Okkupation ausgesprochen, wobei der jüdische Professor Yeshayahu Leibowitz davor gewarnt hatte, auch nur den kleinsten Teil der Palästinensergebiete zu halten, denn wenn wir nur einen kleinen Teil von dem schlucken, was wir erobert haben, werden wir viel schwächer werden. Eine weitere Million Araber wird alle Grundlagen unserer Existenz unterlaufen. Antonia Rados [2]

Im März 2012 beschrieb der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nach einem Besuch in Israel und dem Westjordanland die Lage in Hebron via Twitter wie folgt: „Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Dazu muss man wissen, dass Hebron rund 200.000 Palästinenser und 500 überwiegend rechtsextreme und gewaltbereite israelische Siedler leben. Auch der Apartheid-Vergleich ist nicht neu. Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu beispielsweise hat die Politik Israels gegenüber den Palästinensern widerholt mit der früheren Apartheid-Politik Südafrikas verglichen. Gabriel bezog seinen Apartheid-Vergleich ausdrücklich allein auf Hebron – gleichwohl geriet er umgehend ins Kreuzfeuer der Kritik. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe etwa zeigte sich empört und verlangte eine sofortige Entschuldigung für Gabriels „verbalen Totalausfall“. Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte am 17. März 2012: „Sigmar Gabriel … sonderte als ahnungsarmer Kurzbesucher in Israel und im besetzten Hebron einen flapsigen Facebook-Satz ab, der kein Beitrag zur ernsthaften Debatte über ein Israelis wie Palästinenser umtreibenden Problem ist. Michael Lüders [3]

Richard C. Schneider schreibt in seinem Buch, „WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT?“:

Einerseits verdankt Israel seine Existenz unter anderem der UNO, andererseits sieht sich Israel immer wieder von der UNO in die Ecke gestellt als Buhmann, als „böser Bube“ unter den Nationen.

Alles begann mit der Resolution 181 (II) vom 29. November1947. Es ging um die Frage der zukünftigen Regierung von Palästina. Die Resolution empfahl, dass die Briten als Mandatsmacht Palästina verlassen, dass das Militär spätestens zum 1. August 1948 aus dem Land sein müsse, dass ein unabhängiger arabischer (palästinensischer) und ein unabhängiger jüdischer Staat sowie eine besondere internationale Verwaltung für die Stadt Jerusalem, die von der UN getragen werde, ins Leben gerufen werden. Und dass schließlich in Jerusalem die Interessen aller Religionen, Christentum, Judentum und Islam, gewahrt werden sollen.

Die Resolution der UNO-Vollversammlung Nr. 273 vom 11. Mai 1949 lässt Israel als Mitglied der Vereinten Nationen schließlich zu.

Der gesamte Nahostkonflikt ist seitdem immer wieder von UNO-Resolutionen mit beeinflusst worden.

Die UNO-Resolution 3379 von 1975 hat entscheidend zum angespannten Verhältnis zwischen Israel und der UNO beigetragen. Die UNO erklärt darin, dass sie glaubt, der Zionismus sei eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung. Die Resolution zitiert dazu Resolutionen anderer transnationaler Organisationen, in denen der Zionismus als Bedrohung für den Weltfrieden und die Sicherheit angesehen wird, als rassische und imperialistische Ideologie. Und sie sagt wörtlich, dass die rassistische Regimes in Zimbabwe und Südafrika den gleichen imperialistischen Ursprung haben, dieselbe rassistische Struktur. Sie seien in ihrer Politik miteinander verbunden, die zum Ziel habe, die Würde und Integrität des Menschen zu unterdrücken.

Diese Resolution wurde 1991 von der UNO-Vollversammlung durch die Resolution 4686 widerrufen.

Doch die UN-Politik im Nahen Osten muss sich kritische Fragen gefallen lassen. Nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 wurde das palästinensische Flüchtlingsproblem zu einem Kernpunkt der weiteren Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen Nachbarn. Seit 1948 ist die UNO die wichtigste Organisation, die sich um das Schicksal der Palästinenser kümmert. Die meisten Flüchtlingslager werden von ihr betreut und verwaltet. Das es sie bis heute gibt, ist ein Ergebnis regionaler Politik.

Die arabischen Staaten hatten keinerlei Interesse daran, die Flüchtlinge aufzunehmen oder gar zu rehabilitieren, indem man ihnen zum Beispiel staatsbürgerliche Freiheiten und Rechte zubilligte. Im Libanon dürfen palästinensische Flüchtlinge bis heute nicht studieren oder arbeiten, sie haben bis heute nicht die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen.

[1] Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

[2] Antonia Rados, „Gucci gegen Allah Der Kampf um den neuen Nahen Osten“, Wilhelm Heyne Verlag, München, Aktualisierte Taschenbuchausgabe 11/2006

[3] Michael Lüders, „IRAN: DER FALSCHE KRIEG Wie der Westen seine Zukunft verspielt“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2012

Israel-USA: Ist eine neue Strategie der Konfliktlösung erforderlich?

„Kommentare und Berichte über Israel frei von der in Deutschland vorherrschenden politischen Korrektheit bietet auch „Haaretz“ (www.haaretz.com). Gideon Levy, ein scharfzüngiger Kritiker der Regierung Netanjahu, schreibt am 18. März 2012: „Selbst die größten Befürworter eines Angriffs, deren Zahl beängstigend zunimmt, räumen ein, dass der Iran mit der allergrößten Entschlossenheit zurückschlagen wird. Michael Lüders [1]

„Jeder zweite Ägypter gegen Friedensvertrag mit Israel“, so lautet die Schlagzeile einer dpa-Meldung am 26. April 2011. Diese Meldung wäre in der Tat beunruhigend, würde sie bedeuten, eine neue ägyptische Regierung würde als erstes diesen 1979 in Washington unterzeichneten Vertrag aufkündigen. Damit ist kaum zu rechnen. Jörg Armbruster [2]

„Kein Frieden ohne Syrien, kein Krieg ohne Ägypten.“ Der Spruch ist alt, soll aber sagen, dass Syrien schon immer eines der Schlüsselländer des Nahen Ostens war, eine geographische und politische Zentralmacht, in der fast alle Konfliktlinien des Nahen und Mittleren Ostens zusammenlaufen, aufeinanderstoßen, sich oft genug aneinander reiben, was aber in der Vergangenheit selten zu einem gefährlichen Funkenflug geführt hatte. Bisher zumindest. Verglichen mit Syrien führte Libyen immer eine Randexistenz im Nahen Osten. Auch deswegen konnte die NATO in den Bürgerkrieg in Libyen eingreifen. Die Situation in Syrien ist weitaus komplizierter und komplexer. Jörg Armbruster [3]

Jörg Armbruster beschreibt in seinem Buch „Syrien als Brennpunkt im Nahen Osten“ wesentliche Zusammenhänge der Konfliktzonen:

Israel – der beste Feind

Die Grenze mit Israel: Beide Länder befinden sich offiziell noch immer im Kriegszustand. Gleichwohl wurde die von UNO-Blauhelmen kontrollierte Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen, die Israel 1981 annektierte, von den Machthabern in Damaskus weitestgehend respektiert, auch wenn Israel keine Anstalten macht, dieses besetzte Gebiet zurückzugeben. Alle Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Syrien sind bislang gescheitert.

USA – der zaudernde Riese

Die Angst Israels vor den syrischen Chemiewaffen mag auch mit dazu geführt haben, dass der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, Mitte Juni 2013 seinen Tanz auf der von ihm selbst formulierten roten Linie beendete. Meldungen, dass Assad Chemiewaffen eingesetzt haben soll, gab es schon seit dem Frühjahr 2013.

2013 mehrten sich die Hinweise: Assad habe tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt, wenn auch nur in kleinen Mengen.

Auch für Israel war die Entscheidung Obamas ein wichtiger Schritt, hatte die Regierung Netanjahu doch immer gedrängt, die USA mögen eingreifen in diesem Konflikt, der immer mehr zu einer Bedrohung des jüdischen Staates selbst werde.

Die USA steckten im Syrienkrieg also in einem für sie kaum lösbaren Dilemma. Greifen sie auf der Seite der Freien Syrischen Armee in den Konflikt ein, unterstützen sie damit ungewollt, aber nahezu automatisch auch die radikalen Sunniten; denn sie können nicht gegen diese und gleichzeitig gegen Assad einen Krieg führen. Schlimmstenfalls müssten sie nach einem Sturz Assads entweder zu einem Feldzug gegen Al-Qaida-Verbände antreten oder Sicherheitszonen für von radikalen Sunniten bedrohte Minderheiten wie den Alawiten – ihre ehemaligen Feinde – und Christen einrichten. Sollten sie Bodentruppen einsetzen, und sei es nur für eine Schutzzone im Norden, dann haben sie es nicht nur mit der syrischen Armee zu tun, sondern auch mit der libanesischen Hisbollah und Kampftruppen aus dem Iran.

Sollten die USA sich für Luftangriffe entscheiden, dann gehören möglicherweise sogar als Berater eingesetzte russische Soldaten zu den Opfern.

Durch den Persischen Golf läuft also auch eine der großen Konfliktlinien des Nahen Ostens. Am einen Ufer des Golfs der schiitische Mullah-Staat Iran, am anderen dieses für die Ölversorgung so wichtigen Gewässers die sunnitisch-wahabitischen Länder der arabischen Halbinsel, darunter so wichtige wie Saudi Arabien und Katar.

Katar – ein riesiger Winzling

Gerade Katar, geographisch ein Winzling, in Wirklichkeit dank seiner Gasvorkommen wirtschaftlich ein Riese und politisch manchmal ein hyperaktiver Halbstarker,…

Das Hauptquartier der US-Streitkräfte im Nahen Osten befindet sich in Katar, genauso aber auch eine Art Botschaft der Taliban. Katar unterhält gute Beziehungen zu Israel, finanziert aber gleichzeitig Israels Erzfeind, die Hamas.

Katar hatte sich bis zum Beginn der arabischen Aufstände als erfolgreicher Vermittler zwischen den vielen Konfliktparteien der Region bewährt, lieferte sich mit dem Iran im 2006 kriegszerstörten Südlibanon einen regelrechten Wiederaufbauwettkampf und investierte  Millionen von Dollar in den Gazastreifen der Hamas.

Katar spielt also eine nicht ganz durchsichtige Schlüsselrolle in der komplizierten Gemengelage von Syrien, als Geldgeber, als Vermittler zwischen den zerstrittenen Oppositionsgruppen, als Unterstützer der Djihadisten, als Wohltäter der Bevölkerung in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten.

Eines allerdings wollen weder Katar noch Saudi Arabien, dass nämlich aus dem Nach-Assad-Syrien eine Demokratie wird.

Sie wollen nicht mehr Mitbestimmung der Bevölkerung, sondern den Nahen Osten umbauen zu sunnitisch geprägten autoritären Regimen.

Ein russischer Freund

Nicht weniger wichtig für Assad ist Russland. Moskau ist ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der UNO und damit ein sicheres Veto gegen alle UN-Resolutionen, die Syrien verurteilen wollen, außerdem Waffenlieferant und möglicher Vermittler zwischen den Parteien und schließlich das stärkste Gegengewicht gegen die westliche Dominanz im Nahen Osten.

Für Russland wiederum ist Syrien, wie der Iran, die Brücke in den Nahen Osten. Einen anderen Verbündeten hat Moskau in der arabischen Welt nicht, die meisten anderen Länder lehnen sich an die USA an.

Türkei – vom Freund zum Feind

Heute ist die Türkei Rückzugsgebiet der Rebellen, von der Türkischen Regierung geduldet, von der türkischen Geheimpolizei hingenommen, sogar gefördert. In Camps trainieren die Aufständischen ihre Kämpfer. Durch die Türkei werden Waffen für die Aufständischen in den Norden Syriens geschmuggelt. Auch dies mit Wissen der türkischen Regierung und geduldet von der türkischen Geheimpolizei und dem Militär. In der Südtürkei erholen sich Kämpfer von der Front. Ärzte wie Dr. Ammar verbringen hier ein paar Tage, ehe sie wieder in den Krieg zurückkehren, um in Aleppo drei Wochen lang am Stück zu operieren.

Die Türkei ist aber auch Gastgeber für hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien, die zusammengepfercht in für Beobachter verschlossenen Lagern leben. Und die Türkei ist neben Jordanien das Land, das am meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Über 400000 sind es mit Sicherheit Mitte 2013, und täglich kommen neue hinzu. Trotz dieser wachsenden Belastung hat das türkische Parlament 2013 per Gesetz den Status der Flüchtlinge erheblich verbessert.

Waren sie davor höchstens nahezu rechtlose „Gäste“, haben sie seit der Verabschiedung des Gesetzes zum Beispiel das Recht, gegen geplante Abschiebung Einspruch zu erheben. Auch dürfen sie nicht mehr in Länder abgeschoben werden, in denen sie Folter oder Verfolgung erwartet.

Die syrischen Flüchtlinge können also sicher sein, dass sie vorläufig nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden.

Flüchtlinge aus Syrien drängten über die Grenze  in die Türkei, die große Mehrheit waren Sunniten wie die meisten Türken.

Auch Erdogans AKP steht für eine sunnitische Ausrichtung der türkischen Politik. Außerdem zeichnet sich in anderen Ländern des „arabischen Frühlings“ 2012 immer mehr ab, dass die sunnitischen Muslimbrüder aus der Illegalität direkt in die Präsidentenpaläste durchmarschieren werden, so in Ägypten, so in Tunesien. Für den Islamisten Erdogan und seine Türkei eine einmalige Chance, sich als Vorbild für die aufkeimenden Muslimbruderstaaten und den Westen zu empfehlen: „Ihr seht es an mir. Es kann gelingen, einen islamistisch ausgerichteten Staat demokratisch aufzubauen!“

 

[1] Michael Lüders, „IRAN: DER FALSCHE KRIEG Wie der Westen seine Zukunft verspielt“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2012

[2] Jörg Armbruster, „Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern Der arabische Frühling„, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2011

[3] Jörg Armbruster, „BRENNPUNKT NAHOST Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens“, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013

Iran – Konflikt lösbar?

Der Iran ist für den Westen vor allem deshalb eine Problem, weil vor allem die USA ihn zur Strafe für die Vertreibung des prowestlichen Schahregimes geächtet und dadurch jeden Einfluß auf seine Politik verloren haben. Diese Entwicklung ist nicht umkehrbar.“ Jürgen Todenhöfer [1]

„In Artikel drei der Verfassung heißt es  unter anderem, die Regierung der Islamischen Republik Iran wird aufgefordert, all ihre Kräfte auf das Folgende zu richten. Ein entsprechendes Umfeld zu schaffen, in dem die moralischen Tugenden auf der Grundlage des Glaubens, der Frömmigkeit und des Kampfes gegen Manifestationen von Laster und Korruption wachsen können; die öffentliche Aufmerksamkeit n allen Bereichen zu erhöhen und dabei Gebrauch von Presse, Massenmedien und anderen Mitteln zu machen […]; den Kolonialismus absolut abzulehnen und ausländischen Einfluss zu verhindern; alle Formen von Diktatur, Autokratie und Monopolen zu eliminieren; unerwünschte Diskriminierung abzuschaffen und gleiche Chancen für alle auf allen Gebieten zu gewährleisten [..]; eine islamische Bruderschaft zu entwickeln und allgemeine Kooperation zwischen allen Menschen zu stärken; Außenpolitik auf der Grundlage islamischer Standards zu entwickeln, brüderliche Verpflichtung gegenüber allen Moslems und die uneingeschränkte Unterstützung für alle unterdrückten Nationen dieser Welt zu garantieren. Antonia Rados [2]

Hintergrund

Den Iran nannte man bis 1935 im allgemeinen Persien. Er wurde 1979 die erste Islamische Republik in der muslimischen Welt. Konservative Kleriker um Ayatolla Khomeni stürzten die Monarchie von Reza Schah Pahlevi 1978.

Seit der Islamischen Revolution haben sich die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran massiv und konsequent verschlechtert. Die Auseinandersetzungen zwischen den Staaten erlebten einen neuen Höhepunkt, als während des Ersten Golfkrieges zwischen dem Iran und dem Irak Saddam Husseins von 1980 bis 1989 die Kämpfe sich bis zum Persischen Golf ausdehnten, wo schließlich die US-Marine in Gefechte mit den iranischen Truppen geriet. Seit damals ist das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt. US-Präsident George W. Bush erklärte den Iran zu einem der drei Staaten, die zur „Achse des Bösen“ gehören. Richard C. Schneider [3]

Vordergründig geht es in der Causa Iran um die Frage, ob das Land nach der Atombombe greift. Tatsächlich aber sind vor allem die USA und Israel, in ihrem Windschatten auch die Europäer bemüht, die Regionalmacht Iran, den einzigen Staat neben Syrien im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien, dessen Politik nicht pro-westlich ausgerichtet ist, in die Schranken zu weisen. Michael Lüders [4]

Der Countdown zum Krieg begann mit dem im November 2011 veröffentlichten  Iran-Report der in Wien ansässigen IAEA. Dieser Report führt an keiner Stelle den Nachweis, dass der Iran an einer Atombombe baut. Stattdessen wirft er Tehran vor, nicht alle Details seines Atomprogramms offengelegt oder rechtzeitig an die IAEA-Zentrale weitergeleitet zu haben. Resümierend heißt es: „Alle diese Informationen zusammengenommen geben Anlass zu wachsender Besorgnis, dass das iranische Nuklearprogramm eine militärische Dimension haben könnte.“ Michael Lüders [4]

Und man darf nicht vergessen, dass das Atomprogramm keine Erfindung des neuen Präsidenten ist. Seit vielen Jahren arbeiten die Iraner daran, und die Tatsache, dass sie nach der Zerstörung des einzigen Atomreaktors des Irak durch die israelische Luftwaffe im Jahre 1981 ihre  Atomanlagen über das ganze Land verteilt und die sensibelsten Teile unterirdisch angelegt haben, lässt zumindest den Zweifel zu, ob die Iraner die Atomenergie wirklich nur zu friedlichen Zwecken nutzen wollen, wie sie immer wieder betonen. Richard C. Schneider [3]

Dabei hatten Israel und der Iran noch zu Zeiten des Schahs beste militärische und wirtschaftliche Beziehungen. Die jüdisch-persische Diaspora gilt als erste und älteste in der Geschichte des jüdischen Volkes. Die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen in Persien waren stets freundschaftlich und unproblematisch, die jüdische Bevölkerung wuchs und trug wesentlich zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung des Landes bei. Israel war im Iran quasi der Stellvertreter der USA. Zu Schahzeiten bildeten Israelis die iranische Armee aus, belieferte sie mit Waffen. Der Iran und die Türkei waren stets „natürliche“ Verbündete Israels in der Region. Beide Staaten sind zwar muslimisch, aber keine Araber. Insofern gab es (und gibt es heute noch zumindest für die Türkei) gemeinsame Interessen mit Israel gegenüber der arabischen Übermacht. Was den Iran betrifft, so hat sich die Lage grundlegend gewandelt. Wenn man die Drohungen Ahmadinejads ernst nimmt, dann droht Israel und dem jüdischen Volk nicht nur ein zweiter Holocaust. Dann könnte die iranische Bombe zum Auslöser einer Katastrophe werden, die die ganze Welt mit hineinziehen wird. Und das alles nur, um den 12. Imam zurückzuholen? Aus westlicher Sicht scheint das Irrsinn zu sein. Richard C. Schneider [3]

 

[1]Jürgen Todenhöfer, „WARUM TÖTEST DU, ZAID?“, 1. Auflage, Wilhelm Goldmann Verlag, München, September 2009

[2] Antonia Rados, „Gucci gegen Allah Der Kampf um den neuen Nahen Osten“, Wilhelm Heyne Verlag, München, Aktualisierte Taschenbuchausgabe 11/2006

[3] Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

[4] Michael Lüders, „IRAN: DER FALSCHE KRIEG Wie der Westen seine Zukunft verspielt“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2012

Hamas und Hisbollah – eine Machtoption

„Die Hisbollah ist wie auch die palästinensische Hamas als Reaktion auf israelische Besatzung entstanden“, stellt Michael Lüders in seinem Buch IRAN: DER FALSCHE KRIEG fest.

Weiterhin führt er aus: „Diese Einsicht jedoch gilt in Israel wie auch in der westlichen Politik überwiegend als Blasphemie. Statt dessen gelten Hisbollah und Hamas fälschlicherweise als Teil eines globalen islamistischen Netzwerkes, mit engen Verbindungen zu Al-Kaida“.

Die Frage ist, was macht diese beiden Organisationen für die arabische Bevölkerung so attraktiv und wann sind sie entstanden?

Richard C. Schneider stellt in seinem Buch WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? wesentliche Zusammenhänge vor:

Die Hamas ist im Laufe der siebziger und achtziger Jahre gegründet worden. Anfangs unterstützte Israel die radikal-islamistische palästinensische Hamas.

Das Wort  „Hamas“ steht im Arabischen für „Harakat al-Muqawama al-Islamia“ und bedeutet allgemein „Islamische Widerstandsbewegung“, es bedeutet aber auch „Eifer“. Damit ist der allgemeine Charakter der Organisation umrissen.

Der Operationsraum der Hamas ist ausschließlich auf den Gazastreifen und das Westjordanland beschränkt.

Am Anfang wurde die Hamas überwiegend von Saudi-Arabien finanziell unterstützt.

Israel wollte die Hamas als Gegengewicht zur säkularen PLO unterstützen, weil der Führer der PLO, Jassir Arafat, als Erzfeind betrachtet wurde.

Bis in die 80ziger Jahre konzentrierte sich die Hamas auf soziale Fragen, sie prangerte Korruption an, verwaltete Spenden und verteilte Geld an Arme, organisierte Projekte für die Bedürftigen der palestinensischen Bevölkerung. Auf diese Weise sammelte die Hamas Sympathie, Unterstützung und Zulauf.

Die Hamas war einerseits in Gaza überaus aktiv und andererseits im Westjordanland, den Westbanks, relativ inaktiv, weil damals die „Muslimbruderschaft“ noch einen integralen Bestandteil der jordanischen islamischen Bewegung bildete.

Die Muslimbruderschaft vertrat damals noch die besser gestellte Schicht der Hamas: Kaufleute, Grundbesitzer und die berufliche Mittelschicht der Palästinenser.

Der damalige Führer der Hamas, Achmed Jassin, kam aus Nähe der israelischen Stadt Aschkelon. Er kam nach dem Unabhängigkeitskrieg Israels als Flüchtling 1948 in den Gazastreifen. Jassin studierte an der Al-Azhar-Universität in Kairo, als die islamistischen Bewegungen innerhalb der Studentenschaft besonders aktiv war.

Jassins Nachfolger wurde Achmed Rantissi aus der Nähe von Jaffa, Stadt im Kernland Israels. Auch Rantissi war 1948 nach dem Unabhängigkeitskrieg als Flüchtling nach Gaza gekommen. Er studierte Medizin in Ägypten, praktizierte dort aber nie als Arzt. 1976 kehrte er nach Gaza zurück. Auch er war während seiner Studentenzeit zur Muslimbruderschaft gestoßen. Er löste die Erste Intifada aus. Unter dem Eindruck der Intifada begann er seine mutige Friedenspolitik, die zum Friedensvertrag von Oslo 1993 führte.

Rantissi wurde bald zur rechten Hand von Scheich Jassin und gehörte somit zum innersten Führungszirkel der Hamas.

Der militärische Kampf der Hamas gegen Israel entwickelte sich stufenweise.

1992 wurde der militärische Arm der Hamas gegründet und organisiert.

Ein Ziel hatte die Hamas aber nie: die USA. Bis heute wurden nie US-amerikanische Einrichtungen direkt angegriffen.

Die eigentliche Basis für ihren Erfolg schuf sich die Hamas jedoch mit Sozialprogrammen. Eine Vielzahl von Erziehungs- und Hilfsprogrammen haben der islamistischen Organisation viel Sympathie eingebracht.

Hamas hat aus ehrlicher Anteilnahme das Geld der armen Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Ihre Führer gelten als ehrlich, Korruption kennt man aus den Reihen der Hamas nicht.

Für die Entwicklungsgeschichte der Hamas ist der Friedensprozess von Oslo von entscheidender Bedeutung.

Nach dem israelischen Abzug aus Gaza im Sommer 2005 begann die Hamas ihre Macht im Gazastreifen endgültig zu konsolidieren.

Obwohl die Hamas inzwischen den Ministerpräsidenten der palästinensichen Regierung stellt, Ismail Hanije, so ist die eigentliche Führung der Organisation im Ausland, im Exil. Von Damaskus aus steuert Khaled Meshal die Geschicke der Bewegung.

In jüngster Zeit hat sich die Hamas zunehmend dem Iran angenähert. Die engen Verbindungen mit der Hizbollah im Libanon mögen dazu beigetragen haben, vor allem aber der internationale Finanzboykott seit ihrem Wahlsieg 2006. Die Unterstützung der palästinensischen Behörden wird dann wieder aufgenommen, wenn die Hamas die drei Forderungen des Westens erfüllt: Anerkennung Israels, das Ende der Terroraktionen und die Anerkennung der zwischen den Palästinensern und Israels bereits unterschriebenen Vereinbarungen. Nichts dergleichen will die Hamas jedoch tun. Und so versorgt sie sich mit Geld aus dem Iran.

Der Iran, der wegen seines Atomprogramms mit dem Westen auf Konfrontationskurs gegangen ist, ist bereitwillig eingesprungen, und verfolgt nun mit der Hamas eine ähnliche Politik wie mit der Hizbollah im Libanon.

Das funktioniert, weil die sunnitische Hamas mit der schiitischen Hizbollah viel gemeinsam hat: die totale Ablehnung der Existenzberechtigung Israels, eine ähnliche Haltung zum Märtyrertum.

Mit Hilfe der Hamas kann die Hizbollah in den besetzten Gebieten politisch und militärisch leichter Fuß fassen. Damit kann der Iran als neue Großmacht im Nahen Osten die Führung der islamischen Welt übernehmen und Israel vernichten.

[1] Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

[2] Michael Lüders, „IRAN: DER FALSCHE KRIEG Wie der Westen seine Zukunft verspielt“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2012

Moslembruderschaft – ihr Einflußbereich!

Wer sind die Moslembrüder, wo und wann sind sie das erste mal aufgetreten? Wer war ihr Führer? Was wollte er bewirken? Wofür stehen sie heute?

Die Moslembruderschaft wurde 1928 von Hassan al-Banna gegründet. Al-Banna war Arabischlehrer in einer Grundschule in der Stadt Ismalia am Suezkanal. Er blieb bis zu seiner Ermordung 1949 der oberste Führer der Moslembrüder. Er verlangte von seinen Anhängern unbedingten Gehorsam: die volle Einhaltung der Befehle der Führung, die sofortige Ausführung dieser Befehle im Schwierigen wie im Guten.

Die Entstehung der Moslembruderschaft geht wahrscheinlich auf verschiedene Ereignisse zurück: die Geburt von Präsident Mubarak im selben Jahr, dem Sturz des osmanischen Reiches im Jahre 1924, der Kontrolle des saudischen Königshauses über weite Teile der arabischen Halbinsel 1926.

Es kam zu einer Identitätskrise nach dem Ende des islamischen Kalifats in Istanbul. Viele versuchten ihr Heil im Sozialismus und Nationalismus. Diese Ideen wurden aus Europa importiert.

Christliche Syrer und Ägypter predigten Panarabismus, weil sie Angst vor dem Aufstieg des Islamismus hatten. Dieser Islamismus richtete sich gegen türkische, britische und französische Kolonialherrschaft!

Der Traum eines islamischen Kalifats blieb aber virulent bestehen:

Der Aufstieg der Saudis auf der arabischen Halbinsel und die Errichtung des Königreiches Saudi-Arabien näherte in einigen Muslimen die Hoffnung auf ein neues arabisch-islamisches Kalifat (Hamed Abdel-Samad, „Krieg oder Frieden“)

Hassan Al-Banna wollte den Gottesstaat wieder herstellen! Saudi-Arabien spendete aber nicht zuerst für die Gründung der Bewegung der Moslembruderschaft, sondern der französische Direktor der Suezkanal-Firma.

Warum machte er das? Der Wanderprediger und Arabischlehrer Al-Banna warb als Sozialreformer für die Jugend bei den Franzosen um Spenden. Er hatte ein starkes Charisma und gute Verbindungen zu der renommierten religiösen Institution Al-Azhar.

Der salafistische syrische Gelehrte Rashid Reda überzeugte Saudi-Arabien, dass Al-Banna Spenden für sein Projekt „Gründung der Moslembruderschaft“ benötigte.

Jörg Armbruster schreibt in seinem Buch: „Brennpunkt Nahost“:

Die Ideenwelt der Muslimbrüder, die von einem starken Schwarz-Weiß- und Gut-Böse-Denken und einer moralisierenden Weltsicht geprägt ist, fasste al-Banna so zusammen:

„Allah ist unser Ziel. Der Prophet unser Vorbild. Der Quran ist unsere Verfassung. Der Djihad ist unser Weg. Der Märtyrertod auf dem Pfad Gottes ist unsere unsere größte Hoffnung.“

Diese Zitate stammen zwar aus der Anfangszeit der Muslimbruderschaft, sie gelten aber bis in die Gegenwart und spielen auch heute noch eine aktive Rolle im Denken der Muslimbruderschaft.

Die Muslimbruderschaft ist dabei sich zu ändern – der Gewalt haben sie schon in den siebziger Jahren abgeschworen. In diesem Punkt unterscheiden sie sich zum Beispiel deutlich von der Hamas. Der Kommandostil und auch der Führerkult sind nicht beliebt bei Ägyptens Jugend.

Wegen ihrer Wohlfahrtsprogramme waren sie in der Bevölkerung angesehen. Sie behandeln in eigenen Krankenhäusern die Armen billiger und besser als staatliche Krankenhäuser. Außerdem konnten die Armen in Ägypten (etwa vierzig Prozent der Bevölkerung leben am Rande oder unter dem Existenzminimum) immer ihrer Hilfe rechnen, durften allerdings auch deren islamische Ideologie zumindest nicht in Frage stellen.

Die Hamas im Gazastreifen wurde von den ägyptischen Muslimbrüdern gegründet. Diese unterhalten wiederum enge Verbindungen zur „Islamic Action Front“ in Jordanien und zu ihren syrischen Muslimbrüder.

Die Rhetorik der Muslimbruderschaft sollte die Massen der Ägypter für eine Veränderung des politischen Systems gewinnen. Allerdings agierte die Bruderschaft fast immer staatstragend. Den Machthabern wurde fast immer ihre Loyalität zuteil, auch oft gegen die Interessen der Bevölkerung.

In den 40er Jahren war die Bruderschaft in zahlreiche Terroranschläge und politisch motivierte Attentate verwickelt. Die Muslimbrüder schlossen sich der Bewegung der freien Armeeoffiziere um Nasser an, die im Juli 1952 putschten, König Faruq ins Exil schickten und die arabische Republik Ägypten ausriefen.

Die Muslimbrüder versuchten, Nasser, der sich für den Sozialismus statt den Islam entschied 1954 nach der Rede in Alexandria zu ermorden. Der Mordversuch scheiterte.

Die künftige ideologische Richtung der Muslimbrüder gab Sayyed Qutb vor:

Hamed Abdel-Samand schreibt in seinem Buch: „Krieg oder Frieden“:

In seinem Artikel mit dem Titel „Amerika wie ich es sah“, den er in einer ägyptischen Zeitung veröffentlichte, beschreibt er den Westen als eine technisch entwickelte, aber moralisch barbarische Gesellschaft, die noch in der Dunkelheit der Dschahiliyya, also der Unwissenheit, lebt.

Nach seiner Rückkehr nach Ägypten beschäftigt er sich mit den Themen Islam und soziale Gerechtigkeit. Der frühere Marxist war Muslimbruder geworden. Seine Schriften zum Islam sind entscheidend für die Radikalisierung der Muslimbrüder in den folgenden Generationen.

Das Verhältnis der Muslime zum Westen wird in der Rhetorik der Muslimbrüder wie in den offiziellen Schulbüchern nicht zuletzt von zwei historischen Ereignissen und einem aktuellen Konflikt belastet. Es handelt sich zum einen um die Kreuzzüge und die Kolonialisierung und zum anderen um den akute Nahostkonflikt.

[1] Hamed Abdel-Samed, „Krieg oder Frieden Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“, 2011, Droemer Verlag, München

[2] Jörg Armbruster, „BRENNPUNKT NAHOST Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens“, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013

Freiheit, Leben und Ehre der 30er Jahre

Der damalige Parteivorsitzende der SPD, Otto Wels, hielt am 23. März 1933 in der Krolloper zu Berlin im Weimarer Reichstag , seine letzte freie Rede, bevor er sich mit der überwiegenden Mehrheit der Stimmen als Verfassungsorgan selber entmachtete. Sein Versuch, angesichts der im Parlament aggressiv auftretenden Nationalsozialisten, den Widerstand der Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz auch mit Zitaten von Adolf Hitler zu begründen, wirkte nicht sehr kämpferisch.

Einige folgende, wesentliche Punkte der politischen Entwicklung sind meiner Ansicht wichtig:

  1. Der Sprecher der Zentrumspartei, der Bayrischen Volkspartei oder der Deutschen Staatspartei waren nicht mehr bereit, für den Erhalt der Weimarer Republik einzustehen.
  2. Das sogenannte Ermächtigungsgesetz setzte die erste demokratische Verfassung Deutschlands außer Kraft, und es waren die Abgeordneten der SPD, die gegen dieses Gesetz stimmten.
  3. Die Abgeordneten der KPD, die ihren eigenen Beitrag zum Niedergang der Republik geleistet hatten, konnten an der Abstimmung nicht mehr teilnehmen. Viele von ihnen waren bereits verhaftet, andere waren auf der Flucht.
  4. Die bürgerlichen Parteien hatten angesichts der Mehrheitsverhältnisse resigniert und hofften, durch ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, einige Positionen wahren zu können. An die Zukunft der Demokratie glaubten sie nicht mehr.

Weitere wichtige, beachtenswerte Punkte aus der Reichstagsrede von Otto Wels vom 23. März 1933:

Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.

Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben: „Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft.“ Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder.

Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz. Das Wort des Herrn Reichskanzler erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23. Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug.“

Das steht in einer Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitermarsch der Feinde zu verhindern. – zu dem Ausspruch des Herrn Reichskanzler bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung. Aus dem Gewaltfrieden kommt kein Segen; im Innern erst recht nicht.

Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch geschieht, und wenn man es unterlässt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei.

Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht…

Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: wir haben weder in Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht. Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inland eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen scheidet…

Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird. Wollten die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchten kein Ermächtigungsgesetz…

Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern Männer aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offen steht…

Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Freiheit und des Sozialismus…

Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten…

Die oben genannten Punkte zeigen, wie aktuell die Rede von Otto Wels ist im Umgang mit der AfD, Pegida und anderen extrem rechten Bewegungen der Gegenwart.

Martin Kaufhold, „Die großen Reden der Weltgeschichte“, 3. Auflage 2008, Marix Verlag GmbH, Wiesbaden 2007

Prekäre Lage der arabischen Welt

Die sicherheitspolitische, soziale und wirtschaftliche Lage in der arabischen Welt ist sehr zerbrechlich geworden nachdem die islamische Jugend begann die Welt zu verändern.

Hamed Abdel-Samad beschreibt in seinem Buch „Krieg oder Frieden“ die arabische Revolution und die Zukunft des Westen die Chance auf ein gedeihliches Miteinander von Abendland und Morgenland. Andererseits versucht er eine Prognose abzugeben,

„…ob in den destabilisierten Nationen Bürgerkriege und eine kollabierende Wirtschaft Hunderttausende, ja Millionen junger Menschen auf den Weg nach Norden zwingen, wo sie die überalterten Gesellschaften Europas zu überrennen drohen. Abdel-Samads Botschaft ist klar: Der Westen muss sich wirtschaftlich und politisch engagieren, um den Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive zu eröffnen.“

In seinem weiteren Buch „Der Untergang der islamischen Welt“ versucht er weitere Prognose für die Zukunft des Islam zu entwickeln. Er zitiert u.a. aus dem Buch „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler die folgende Passage:

„Zuletzt, im Greisentum der anbrechenden Zivilisation, erlischt das Feuer der Seele. Die abnehmende Kraft wagt sich noch einmal, mit halbem Erfolg – im Klassizismus, der keiner erlöschenden Kultur fremd ist, an eine große Schöpfung; die Seele denkt noch einmal – in der Romantik – wehmütig an ihre Kindheit zurück. Endlich verliert sie, müde, verdrossen und kalt, die Lust  am Dasein, und sehnt – wie zur römischen Kaiserzeit – aus tausendjährigem Lichte zurück in das Dunkel urseelenhafter Mystik, in den Mutterschoß, ins Grab zurück.“

Hamed Abdel-Samad analysiert weiter:

Während sich im Westen ein Gegenpol zum Materialismus und Konsumverhalten im kulturellen Repertoire der Aufklärung und des Humanismus findet, mangelt es dem gelebten Islam an einem eigenen gesunden Verteidigungsmechanismus gegen den Konsum, ohne ihn kategorisch auszuschließen und zu verdammen. Man könnte könnte sagen, Konsum ohne Kant führt zu Verwirrung. Indem die Mehrheit der Menschen in den islamischen Staaten die Instrumente und Produkte der Moderne verschlingt, sich dem dahinter stehenden Gedankengut aber nach wie vor verschließt, existiert sie in einem Zustand der Schizophrenie, der über kurz oder lang in Fanatismus oder kulturelle Verwahrlosung mündet – oder gar in beides zugleich.

Dieser Zustand ist längst eine Realität in der islamischen Welt und wird von vielen vereinfacht als ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne gedeutet. Doch er verweist meines Erachtens auf den Zerfall einer Religion, die keine konstruktiven Antworten mehr bieten kann auf die Fragen des modernen Lebens und auf den Zerfall einer Kultur, die die eigene Besonderheit über den Wandel stellt, obwohl dieser Besonderheit keine Substanz mehr entspricht.

Was der Westen als Re-Islamisierung der islamischen Welt wahrnimmt, ist in Wirklichkeit nur ein Vorhang, der das Verschwinden der Religion verdecken soll.

Im Westen herrscht die Vorstellung, der Islam sei übermächtig und befinde sich auf dem Vormarsch. Die demographischen Entwicklungen in der islamischen Welt und in Europa sowie die blutigen Anschläge und schrillen Töne des fundamentalistischen Islam bestätigen viele Menschen im Westen in ihren Annahmen. Tatsächlich ist es  jedoch so, dass sich die islamische Welt in die Defensive gedrängt fühlt und gegen die in ihrer Wahrnehmung aggressive Macht- und Wirtschaftspolitik des Westens heftig protestiert.

Das Engagement der westlichen Mächte in Afghanistan und im Irak sowie die vielen ungelösten Konflikte in der islamischen Welt, von Tschetschenien bis Palästina, lassen Verschwörungstheorien über die hegemonialen Ansprüche und Bemühungen des Westens wuchern. Während viele Europäer die Islamisierung Europas und den Untergang des Abendlandes beschwören, sehen sich viele Muslime eher als Opfer eines westlichen Masterplanes, der die totale Kontrolle über die Ressourcen der Muslime und die Unterwanderung ihrer Heiligtümer vorsieht.

Jörg Armbruster beschreibt in seinem Buch „BRENNPUNKT NAHOST“ die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens u.a. den syrischen syrischen Teufelskreis:

Noch nie war die Lage in der arabischen Welt so zerbrechlich und angespannt wie heute. Das Alte scheint zu verschwinden. Dafür haben die Aufstände 2011 gesorgt. Unklar ist aber, was als Neues kommt.. Anfangs sah für einen kurzen Augenblick so aus, als kämpften die Tahrirplatz-Demonstranten für einen säkularen Staat. Doch stellte sich das schnell mehr als Wunschtraum denn als Realität heraus. Zumindest in Tunesien und Ägypten war schon früh klar, dass als Sieger nur die Muslimbrüder in Frage kommen, obwohl sie sich spät den aufständen angeschlossen hatten. Die ersten freien Parlamentswahlen haben sie dann auch erwartungsgemäß überwältigend gewonnen. In Ägypten zusammen mit den Salafisten mit einer Zweidrittelmehrheit. Zwei Jahre später allerdings ist ihr Traum von der Macht wieder zerplatzt. Das ägyptische Militär stürzt die frei gewählte Regierung der Muslimbrüder wegen anhaltender Proteste gegen den Präsidenten und seine gescheiterte Politik. In Tunesien ist die islamistische Enahda-Partei als stärkste Partei an einer Regierungskoalition beteiligt. Aber auch hier wachsen die Konflikte dem Land allmählich über den Kopf.

In Syrien ist aus den friedlichen Demonstrationen, mit denen der Konflikt 2011 begonnen hatte, eine Art Stellvertreterkrieg geworden, der immer mehr die Züge eines Religionskrieg annimmt. Schiiten gegen Sunniten, Katar und Saudi Arabien gegen den Iran und schließlich ein Wettkampf zwischen Russland und den USA, den Putin durchaus gewinnen kann. Die friedlichen Demonstranten von einst sehen sich an den Rand der jüngsten syrischen Geschichte gedrängt, dabei hatten sie nur Respekt, Würde, politische Teilhabe und ein besseres Leben gewollt. Anfangs hatten sie sogar darauf verzichtet, den Rücktritt Assads zu fordern. Das kam erst später. Auf den frischen Wind aus Ägypten und Tunesien hatten sie 2011 gesetzt und müssen nun erleben, wie ihr Land in einen zerstörerischen Tornado gerät.

[1] Hamed Abdel-Samed, „Krieg oder Frieden Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“, 2011, Droemer Verlag, München

[2] Jörg Armbruster, „BRENNPUNKT NAHOST Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens“, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013