Sicherheitsrisiko für die Große Koalition

Aber die Führung der sozialdemokratischen Parteien ging von der Genossenschaftsbewegung auf utilitaristische Technokraten und rawlsianische Juristen über. Ihre Ehtik spricht die meisten Menschen nicht an, und Wähler kehren sich allmählich von ihnen ab. Paul Collier [1]

[1] Paul Collier, Sozialer Kapitalismus, Kapitel 10, S. 275ff, Erste Auflage, 2018 by Paul Collier, 2019 für die deutsche Ausgabe by Siedler Verlag, München

Die gegenwärtige Krise der SPD in Deutschland führt möglicherweise zu einer Destabilisierung der sogenannten Großen Koalition von CDU/CSU und SPD. Diese GroKo wird nicht mehr von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler bedingungslos getragen. Die Erosion der Stimmenanteile der Wähler zeigt sich täglich in den Meinungsumfragen der einschlägigen Institute in Deutschland. Die AfD stößt mit Hass und Hetze in dieses Machtvakuum. Sie ist mittlerweile in fast allen Landesparlamenten sowie im Deutschen Bundestag vertreten. Besonders bei der letzten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen wird das Vordringen der in Teilen rechtsextremistischen AfD deutlich sichtbar. Der Machtanspruch dieser Partei wächst daher immer mehr. Er ist bei fast einem Drittel Wählerstimmen in Brandenburg und Sachsen angekommen.

Es stellt sich die Frage, woher kommt dieser Trend der Abkehr eines Teils der Wählerinnen und Wähler von den großen Volksparteien CDU/CSU und SPD. Was haben diese Volksvertreter falsch gemacht in der Vergangenheit; und was machen sie weiter falsch im politischen Alltag.

Wie kann zukünftig der Wählerwille zutreffender und damit zufriedenstellender im Sinne der Wählerinnen und Wähler umgesetzt werden?

Zunächst muss die Entfremdung des Wählers gegenüber den Regierenden und den Führungsgremien der großen Volksparteien offensiv begegnet werden.

Jean Ziegler [2] beschreibt den Prozess der Entfremdung in seinem Buch anhand von praktischen Beispielen:

Die Strategie der deutschen Kapitalisten lief nämlich zwangsläufig auf einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schwerindustrie hinaus – in der Stahlindustrie, der Maschinenindustrie etc.

Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder leitete diese Sitzung der Sozialistischen Internationalen. Er erklärte uns, dass er durchaus Verständnis für die Wut und Sorgen der Demonstranten habe, aber dass man nichts machen könne.

Offensichtlich bestand das Problem nicht in den Kräfteverhältnissen zwischen Regierung und Kapitalisten,, sondern vielmehr in dem Umstand, dass Schröder am neoliberalen Obskurantismus festhielt und sich ihm freiwillig unterwarf. Wörtlich sagte er: „Niemand kann etwas gegen die Kräfte des Marktes ausrichten. Die Industriellen an der Ruhr gehorchen den Gesetzen des Weltmarktes. Persönlich bedaure ich die Entscheidung… Aber es wäre ein gefährliche Torheit, sich dem Markt zu widersetzen.“

Ist dem sympathischen Schröder Doppelzüngigkeit zu unterstellen? War er, wie seine Kritiker im sozialistischen Lager glaubten, mit den deutschen und russischen Oligarchen verbandelt? Ich glaube nicht. Während ich zuhörte, wie er seine Untätigkeit rechtfertigte, war ich von seiner Ehrlichkeit vollkommen überzeugt. Ich erinnerte mich an einen Ausspruch von Pierre Bourdieu: „Der Neoliberalismus ist eine scharfe Waffe. Er setzt einen ökonomischen Fatalismus in die Welt, dem gegenüber jeglicher Widerstand vergeblich zu sein scheint. Der Neoliberalismus ist wie Aids. Er zerstört die Abwehrkräfte seiner Opfer.“ Das heißt, er lähmt sein Opfer, indem er es von dessen eigener Ohnmacht überzeugt.

Die größten Unternehmen an Rhein und Ruhr, die häufig auch die gewinnträchtigsten waren, verlagerten ihre Produktionsstätten ins Ausland. Gerhard Schröder verlor 2004 die Wahlen und das Kanzleramt.

Entfremdung ist ein sehr geheimnisvoller Prozess. Er führt dazu, dass Frauen und Männer freiwillig gegen ihre eigenen Interessen denken und handeln… sie ist die Hauptwaffe der Kapitalisten für die Beherrschung von Bewusstsein und Denken anderer Menschen…


[2] Jean Ziegler, Was ist so schlimm am Kapitalismus, S. 106, 1. Auflage, 2018 by Jean Ziegler, 2019 für die deutschsprachige Ausgabe by C. Bertelsmann Verlag, München

Diese Entfremdung der Menschen, die durch den Neoliberalismus Jahrzehnte lang weltweit stattgefunden hat, führte offensichtlich zu einem Vertrauensverlust der Wählerinnen und Wähler in die gewählten Volksvertreter. Die AfD in Deutschland nutzte und nutzt diesen Vertrauensverlust gegenüber den Politikern rigeros.

Die SPD besonders und auch CDU/CSU leiden extrem in diesem Prozess. Dieser Vertrauensverlust wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt die vielen Parteivorsitzenden, die die SPD in den vergangenen Jahrzehnten verschlissen hat. Trotzdem geht das Siechtum der SPD weiter. Sie suchen mal wieder einen neuen Parteivorsitzenden/-vorsitzende nachdem auch Andrea Nahles den Kampf gegen die Linken in der SPD aufgegeben hat.

Die Frage ist, warum handelten die etablierten Parteien nicht weiter pragmatisch? Warum wurde der arrogante Liberalismus das Hauptcredo fast aller Parteien? Wahrscheinlich war der Wähler selber, der diesen einforderte.

Paul Collier [1] stellt fest:

Der Pragmatismus fordert Menschen auf, herauszufinden, was die beste Lösung in einer gegebenen Situation ist, indem sie auf die besonderen Umstände achten, um mithilfe praktischer Vernunft zu beurteilen, ob vorgeschlagene Lösungen tatsächlich etwas taugen.

Gut informierte Wähler sind das höchste öffentliche Gut, und wie bei allen öffentlichen Gütern hat jeder Einzelne kaum Anreize, es bereitzustellen.

Der Pragmatismus hat zwei Feinde: Ideologien und Populismus, und beide ergriffen ihre Chance. Die Ideologien der Linken und der Rechten behaupten, dass Kontext, Besonnenheit und praktische Vernunft durch eine Allzweckanalyse umgangen werden könnten, die Wahrheiten ausstößt, die für sämtliche Kontexte und alle Zeiten gelten. Der Populismus bietet eine andere Abkürzung an: charismatische Persönlichkeiten, die so offensichtliche Lösungsansätze präsentieren, dass sie unmittelbar verständlich sind. Oftmals verschmolzen Ideologien und Populismus, wurden so noch wirkungsmächtiger: ehedem diskreditierte Ideologien, die durch leidenschaftliche, verlockende neue Heilmittel hausieren gehende Anführer aufgemöbelt wurden. Heil den Vorboten: Bernie Sanders, Jeremy Corbin und Jean-Luc Mélenchon von der radikalen Linken; Marine Le Pen und Norbert Hofer von den Nativisten; Nigel Farage, Alex Salmond und Charles Puigdemont von den Sezessionisten; und Beppo Grillo und Donald Trump aus der Welt der prominenten Unterhaltungskünstler.

Gegenwärtig wird das politische Schlachtfeld anscheinend von beunruhigten, aufgebrachten utilitaristischen und rawlsianischen Avantgarden beherrscht, die von populistischen Ideologen angegriffen werden.

Damit scheint ein politisches Desaster vorprogrammiert. Um es abzuwenden, bedarf es eines grundlegenden Wandels, der nur dadurch zustande kommen kann, dass wir unsere Politik mit einem anderen ethischen Diskurs verbinden.

[1] Paul Collier, Sozialer Kapitalismus, Kapitel 10, S. 276ff, Erste Auflage, 2018 by Paul Collier, 2019 für die deutsche Ausgabe by Siedler Verlag, München

Besonders wichtig ist, die Stabilisierung des Systems Deutschland aufrecht zu erhalten. In dieser Auseinandersetzung ist wesentlich, dass die Volksparteien wieder in Richtung Mitte rücken sollten. Eine weitere Voraussetzung für einen notwendigen Pragmatismus in der Politik wäre die Änderung der Regeln für die Wahl der Parteivorsitzenden, die weit demokratischer wären als die gegenwärtigen Vorschriften.

Collier fordert: Am einfachsten wäre es, nur die gewählten Abgeordneten der Partei den Parteivorsitzenden bestimmen zu lassen. Gewählte Vertreter haben zwei Eigenschaften, die dafür sorgen, dass sie besser geeignet sind, einen Vorsitzenden auszuwählen, als die Parteimitglieder. Zum einen sind sie daran interessiert, eine größere Gruppe von Wählern anzusprechen; das lässt sie zu gemäßigten Kandidaten tendieren. Zweitens lassen sie sich als Insider nicht so leicht von ausgebufften Tricks, wie sie medienerfahrene Prominente beherrschen, ins Bockshorn jagen: Sie sind wohlinformierte Wähler.

Gewählte Vertreter haben eine größere demokratische Legitimation als Parteimitglieder; insgesamt repräsentieren sie viel mehr Anhänger der Partei als die Zahl in den offiziellen Mitgliederverzeichnissen.

Da der durchschnittliche Wähler kaum etwas über die Kandidaten weiß, neigt er charismatischen Populisten zu.

Sollte eine Reform der Statuten über die Wahl des Parteivorsitzenden nicht möglich sein, ist die beste Alternative vermutlich ein Wahlsystem, das bis zu einem gewissen Grad auf dem Verhältniswahlrecht basiert. Dieses hat Nachteile, aber immerhin halten Koalitionen Parteien davon ab, ideologische Programme umzusetzen, und sie fördern einen Pragmatismus, der sich an dem orientiert, was sich praktisch bewährt hat.

[1] Paul Collier, Sozialer Kapitalismus, Kapitel 10, S. 281ff, Erste Auflage, 2018 by Paul Collier, 2019 für die deutsche Ausgabe by Siedler Verlag, München

Nach den schlimmen Erfahrungen der SPD mit ihren Parteivorsitzenden in der Vergangenheit, versucht sie nun per Regionalkonferenzen und Mitgliedervotum eine neue Doppelspitze für den neuen Parteivorsitz zu finden. Es gibt eine reichliche Anzahl von Bewerbern für den Parteivorsitz. Die SPD macht also genau das Gegenteil bei der Wahl des Parteivorsitzenden, wie Collier vorschlägt. Die SPD geht nicht nach sachlichen Kriterien vor, sondern bestimmt die neue Parteispitze nach statistischen Verfahren. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. In der Vergangenheit wählte das Präsidium ihren Vorsitzenden; bzw. der Kanzler hatte auch meistens den Parteivorsitz inne. Sollte dieses nach statistischen Regeln durchgeführte Wahlverfahren scheitern, wird es schwierig für die Partei und damit auch für den Erhalt der Regierungsmacht.

Volksparteien, Garanten für die freiheitliche Grundordnung!

Die Wählerinnen und Wähler laufen den großen Volksparteien CDU/CSU und SPD davon und zersplittern damit diese. Die kleinen Parteien Grüne, FDP, Linke und AfD profitieren von diesem Trend. Dadurch ist u.a. die SPD zu einer Randgruppenpartei geworden, obwohl diese eigentlich eine große Arbeitnehmerpartei sein sollte. Diese Wählerwanderung hat bedauerlicherweise die AfD größer gemacht als die SPD. Weder der konservative Teil der SPD noch die konservative Union kann den Wähleranteil, der zur AFD gewandert ist in ihren Reihen binden. Warum ist das so? Was sind die Hauptursachen? Was können wir tun, damit dieses besorgte Wählerpotential von der AfD zurück zu den großen Volksparteien wandert?

Ein Rückblick auf die Redemokratisierung nach 1945 soll den Zusammenhang beleuchten, wie konservative Kräfte in Deutschland durchaus bereit sein können, um mit progressiven Kräften zusammen zu arbeiten.

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt [1] gehen detailliert auf diesen erfolgreichen Prozess ein:

…Und dort, wo sich eine konservative Partei erfolgreich reformiert, wirkt sie als Katalysator für die Wiedergeburt der Demokratie. Ein besonders dramatischer Fall war die Redemokratisierung Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Für diese Leistung verantwortlich war eine unterschätzte Entwicklung: der Neubau einer Mitte-Rechts-Partei, der Christlich Demokratischen Union (CDU), aus den Trümmern einer diskreditierten konservativen, rechtsgerichteten Tradition.

Vor den 1940er Jahren hatte es in Deutschland nie eine konservative Partei gegeben, die sowohl gut organisiert und bei Wahlen erfolgreich als auch gemäßigt und demokratisch war. Der deutsche Konservatismus litt stets unter Spaltungen und organisatorischer Schwäche. Insbesondere der emotional hoch aufgeladene Gegensatz von konservativen Protestanten und Katholiken schuf in der rechten Mitte ein Vakuum, dass extremistische und autoritäre Kräfte besetzen konnten. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit Hitlers Aufstieg an die Macht.

Nach 1945 formierte sich die rechte Mitte auf einer anderen Grundlage neu. Die CDU distanzierte sich von extremistischen und autoritären Kräften; ihre Gründer waren überwiegend konservative Politiker mit unangreifbarer antinazistischen Haltung wie Konrad Adenauer. In ihren Gründungserklärungen stellte die CDU klar, dass sie das vorangegangene Regime und alles, wofür es stand ablehnte. Wie radikal der Bruch war, deutete eine Äußerung von Andreas Hermes, dem Gründungsvorsitzenden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone, aus dem Jahr 1945 an: „Versunken ist eine alte Welt und eine neue wollen wir bauen…“ Die CDU entwarf für Deutschland ein klares Bild einer demokratischen Zukunft: „christliche “ Gesellschaft, die der Diktatur ablehnend gegenübersteht und auf Freiheit und Toleranz beruht.

Zudem verbreiterte und diversifizierte die CDU ihre Basis, indem sie sowohl Katholiken als auch Protestanten in die Partei aufnahm. Dies war eine Herausforderung, aber das Trauma der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs brachte führende konservative, katholische wie protestantische Politiker dazu, ihre althergebrachten Differenzen, welche die deutsche Gesellschaft einst gespalten hatten, zu überwinden.“Das enge Miteinander von Katholiken und Evangelischen“, erklärte ein regionaler CDU-Politiker, „welches sich in den Zuchthäusern, Gefängnissen und KZs abspielte, beendete die alte Zwietracht und begann Brücken zu schlagen.“ Während frisch gebackene CDU-Politiker (katholische und protestantische) in den Gründungsjahren 1945/46 von Tür zu Tür gingen und mit Katholiken und Protestanten sprachen, schmiedeten sie eine neue Mitte-rechts-Partei, die die deutsche Gesellschaft umgestalten sollte. Die CDU wurde eine Säule der westdeutschen Nachkriegsdemokratie.

Leider ging der Union und der SPD in den letzten 13 Jahren der Amtszeit von Frau Dr. Angela Merkel ein großer Teil der konservativen Wählerinnen und Wähler  an die AfD verloren. Die Ursache für dieses Phänomen ist gemäß einer Studie der Bertelsmann Stiftung u.a. auf die Bedrohungsängste, die im Rahmen der Globalisierung entstanden sind, zurück zu führen. Demnach antworteten 35 bis 55 Prozent  der Europäer auf die Frage, ob die Globalisierung als Chance oder als Bedrohung wahrgenommen wird, mit letzterer Einschätzung (Timo Lochocki [2]). Hierbei liegt Deutschland  mit ca. 45 Prozent Globalisierungsskeptikern noch im Lager der „globalisierungsfreundlichen“ Demokratien [2].

Timo Lochocki [2] stellt fest:

…In Deutschland scheiterten Rechtspopulisten vor allem daran, dass die CDU/CSU und die SPD vor der Flüchtlingskrise von 2015 in den wenigen leidenschaftlichen und öffentlich geführten Debatten über Identitätspolitik einen wirksamen Bürgerlichen Kompromiss schmiedeten…

…Entscheidend ist vielmehr, wann etablierte politische Kräfte (nicht die Populisten, die machen das sowieso immer) diese Fragen thematisieren und wie parteiinterne Mechanismen dann welchen Lösungsweg in den Vordergrund rücken…

…der CDU/CSU und vor allem ihren konservativen Kräften (und eventuell auch solchen in der SPD) kommt in den nächsten Jahren eine Schlüsselrolle zu…

…gänzlich unabhängig von den ökonomischen, wirtschaftlichen und vielleicht auch militärischen Folgen dieser konservativen Vorschläge wird sich daran die Zukunft der deutschen Volksparteien entscheiden…

Man sieht, dass in Zukunft mehr die Bedrohungsängste des konservativen Anteils der Wählerinnen und Wähler in der Politik berücksichtigt werden sollten. Insbesondere die progressiven Kräfte in der SPD müssen abweichen von ihren Forderungen mehr Randgruppen in der Politik zu berücksichtigen! Zur Zeit ist die die SPD nur noch eine Randgruppenpartei und keine Arbeitnehmerpartei mehr. Die SPD ist jedoch traditionell eine Arbeitnehmer und Aufsteigerpartei! Sie sollte die  Bedrohungsängste und Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere des konservativen Anteils der Arbeitnehmer in Zukunft ernster nehmen, wenn sie als Volkspartei überleben möchte. Die Randgruppen müssen zukünftig zurückstehen, wobei sie nicht vergessen werden dürfen.  Die Wahlen werden in der Mitte-Rechts gewonnen und nicht in den Randgruppen.

Damit das Sicherheitsbedürfnis des konservativen Anteils der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird, spricht viel für die folgende Option (Lochocki [2]):

…Deutschland muss sehr schnell sicherheits- und militärpolitisch erwachsen werden. Wir müssen in der Lage sein, das zu bewahren und zu schützen, was uns Sicherheit und Wohlstand schenkt: allem voran Europa, mit der Eurozone im Besonderen…

Hieraus folgt, dass im Idealfall die parteipolitische Kommunikation deutscher Identitätspolitik gemäß Lochocki [2] folgendermaßen durchgeführt werden sollte:

…Erstens, sie überzeugt globalisierungsskeptische deutsche Wähler, die mit der AfD sympathisieren; sie stärkt zweitens prodeutsche und proeuropäische Parteien in unseren Partnerstaaten; drittens, sie erlaubt eine langfristig angelegte, internationale Kooperation, um globalen Herausforderungen wirkungsvoll begegnen zu können…

Damit diese Forderungen erfüllt werden können, sind die großen Volksparteien CDU/CSU und SPD besonders gefordert. „Die CDU muss vermeiden, dass [solch] ein Cameron-Moment (BREXIT) in einigen Jahren in deutschen Geschichtsbüchern steht“.[2]

Auf die SPD kommt die schmerzhafte Aufgabe zu: Sie muss verhindern, den offenen Konflikt mit der CDU/CSU in identitätspolitischen Fragen zu suchen.

Timo Lochocki konsterniert:

…Die SPD muss die progressiven Pyrrhussiege  ihrer europäischen Schwesterparteien die erheblich zum Aufstieg von Rechtspopulisten beitrugen, unbedingt vermeiden. Sie muss stattdessen darauf hinwirken, dass sozial- und wirtschaftspolitische Debatten wieder die nationale Agenda bestimmen. Denn gerade hier haben die Sozialdemokraten die besten Chancen…

…Die SPD darf natürlich weiterhin für die Interessen erwerbstätiger Frauen, Homosexueller und Mitbürger mit Migrationshintergrund eintreten. Aber sie muss darauf achten, dass dies nicht zum Leitnarrativ ihrer Politik wird. Denn diese Themen sind viel zu weit weg von den Alltagsproblemen der wahlentscheidenden Bevölkerungsschichten…

In den Fokus gehören also nicht die Themen Minderheitenschutz, Frauenrechte und eine progressive Weltordnung, sondern Arbeitnehmerschutz (Stärkung der Betriebs- und Personalräte), Wirtschafts- und Sozialstaatsreformen und lokale Daseinsvorsorge.

Lochocki stellt fest:“Die Studie Rückkehr zu den politisch Verlassenen von Johannes Hillje und dem Progressiven Zentrum liefert sehr bemerkenswerte Impulse“.

Lochocki weiter:

…Die SPD muss daher ihren progressiven Kräften nahebringen, dass es langfristig gerade in ihrem Interesse liegt, kurzfristig – also im Verlauf medienwirksamer parteipolitischer Konflikte über Identitätspolitik – zurückzustecken…

„Wenn die nächsten drei Jahre weder medienwirksame Bürgerliche Kompromisse in identitätspolitischen Fragen (Außen-, Europa- und Migrationspolitik) noch eine Polarisierung der Volksparteien in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen mit sich bringen, wird die AfD bald denselben destruktiven Einfluss haben wie Rechtspopulisten anderer Staaten“.

Ich denke, wir sollten zukünftig alle demokratischen Kräfte bündeln und alles tun, um die o.g. Forderungen auf Machbarkeit überprüfen und umsetzen. Die rechtspopulistische Partei AfD braucht niemand; sie wirkt nur destruktiv und liefert keine humanitären politischen Lösungen. Dieses ist unverantwortlich. Sie ist cleverer als es die NSDAP war! Denn sie tarnt sich mit Aussagen, dass sie dass Grundgesetz akzeptiert, will aber insgeheim die Zerstörung unseres bewährten, demokratischen Systems, belegt die Aussteigerin Franziska Schreiber [3] in ihrem neuen Buch.

 

 

[1] Steven Levitsky / Daniel Ziblatt, „Wie Demokratien Sterben“, 1. Auflage Mai 2018, Verlagsgruppe Random House FSC Noo1967, Deutsche Verlags-Anstalt, München

[2] Timo Lochocki, „Die Vertrauensformel“, Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

[3]Franziska Schreiber, “ Inside AfD“, 2018 Europa Verlag GmbH & Co. KG, München

 

In welche Richtung steuert Deutschland?

Als ich jung war, lebte ich mit meinen Eltern, mit meinem Bruder und meiner Schwester in einem kleinen Haus am Mississipimeer.

Damals war ich glücklich. (Omar El Akkad)

Die Bundestagswahl im September 2017 führte zu einem deutlichen Machtverlust der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU/CSU).  Weil sich die SPD aufgrund des schlechten Wahlergebnisses zunächst weigerte, in die sogenannte Große Koalition einzutreten, führte Merkel mit den Grünen und der FDP längere Zeit Koalitionsverhandlungen. Jedoch scheiterten auch diese Verhandlungen mit der FDP und den Grünen, weil der FDP-Chef Christian Lindner die Verhandlungen, wegen unüberbrückbarer Dissonanzen über unvereinbare Programmpunkte mit den der Grünen abbrach.

Eine Minderheitsregierung wollte Merkel nicht führen. Daher war der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gezwungen, die SPD wieder an den Koalitionstisch zu bringen, um Koalitionsverhandlungen mit der Union zu führen.

Diese Gespräche endeten nach harten Koaltionsverhandlungen mit der SPD in einen neuen Koalitionsvertrag. So konnte Merkel erst nach mehr als einem halben Jahr mit der SPD im März 2018 eine neue stabile Regierung bilden.

Wie konnte es zu diesem Machtverlust der alten „GroKo CDU/CSU und SPD“ kommen?

Es gibt Hinweise darauf, dass sich Russland auch in den deutschen Bundestagswahlkampf 2018 massiv mithilfe von 116.000 Twitter-Accounts eingemischt hat. Jonas Jonasson [2] schreibt in seinem Roman:

…klar war, dass Angela Merkel in Deutschland auf dem besten Weg war, die Wahl zu verlieren. Ein Sieg war ja kein Sieg, wenn man danach nicht ordentlich regieren konnte.

Zudem sagt  Jonasson in seinem Buch:

…Alle behaupteten, Merkel würde die Bundestagswahl ganz klar gewinnen, der sozialdemokratische Kandidat sei viel zu schwach. Niemand wollte sehen,…, dass sich nämlich die Sozialdemokraten weigern würden, in Merkels Regierung zu sitzen, wenn sie bei der Wahl schlecht abschnitten, denn alles andere wäre politischer Selbstmord. Die russische Taktik bestand darin, die Schwachen noch weiter zu schwächen, in Verbindung mit heimlichen Parteispenden an die AfD.

…Das Letzte, was Russland gebrauchen konnte, war nämlich diese hoffnungslos starke alte Dame in Berlin.

Wie man sieht wurde die „starke alte Dame in Berlin“ erheblich geschwächt, sonst hätte die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 nicht so quälend lange von September 2017 bis März 2018 gedauert.

Die Merkel-Politik der Union gemeinsam mit der SPD verursachte u.a., dass die  Asyl-/Migrantenproblematik gescheitert ist. Zum Scheitern trug vor allem bei, dass im Sommer 2015 ungeregelte Migrantenströme nach Deutschland einwanderten. Hinzu kam, dass die progressiven Belange der GroKo (Union/SPD) zu stark berücksichtigt wurden und die konservativen Belange der Union und der SPD von ca. 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler unberücksichtigt blieben. Besonders die konservative Bevölkerungsstimmung hinsichtlich der inneren Sicherheit wurde negativ, nachhaltig verstärkt.

Im Ergebnis wanderten viele Wählerinnen und Wähler von Union und SPD zur AfD. Dieser Anteil der Wählerinnen und Wähler führte zu 12,6 Prozent der AfD bei der letzten Bundestagswahl. Mittlerweile ist die AfD in allen Landtagen und dem Bundestag vertreten. Die AfD spiegelt die Sorgen vieler konservativen Bürgerinnen und Bürger wieder.

Timo Lochocki [3] stellt fest:

Viele AfD-Wähler wenden sich von den Volksparteien ab, weil sie ihnen nicht mehr zutrauen, auf ihre Sorgen vor Identitäts- und Kontrollverlust zu reagieren. Sie sehen die Volksparteien vielmehr als Auslöser der Prozesse, die ihnen Sorgen bereiten – steigende Zuwanderung, zunehmende Pluralität, wachsende internationale Vernetzung. Die rechtspopulistische AfD ist somit Symptom und ein Katalysator für die Entfremdung vieler Wähler von den Volksparteien und von der parlamentarischen Demokratie. In diesem Vertrauensverlust besteht für die demokratischen Kräfte dieses Landes die eigentliche Herausforderung, auch wenn der Rechtspopulismus in Gestalt der 12,6 Prozent AfD-Wähler vorerst noch vergleichsweise harmlos daherkommen mag.

Mittlerweile hat die AfD mit ca. 16 Prozent gemäß den aktuellen Umfragen die SPD, 14 Prozent, überholt. Sie ist damit stärkste Oppositionkraft im Deutschen Bundestag und kann die Themensetzung erheblich mitbestimmen!

Allerdings entpuppt sich die AfD immer mehr als rechtsradikale Partei, die sich mit rechtsradikalen Verbindungen immer stärker vernetzt, stellt die Aussteigerin und Buchautorin Franziska Schreiber [4] fest:

… Der AfD kann aufgrund des Programms niemand vorwerfen, verfassungsfeindlich zu sein. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist demnach auch für die AfD Grundlage des deutschen Staates.

Aber das Mitte 2016 verabschiedete Programm ist mittlerweile nicht mehr als ein Werbeplakat. Die wahren Absichten der heutigen Parteimitglieder werden von den schriftlich niedergelegten Zielen verdeckt, auf die man sich bei einem Parteitag einigte, als die Liberalen knapp in der Mehrheit waren. Das Programm der AfD camoufliert die waren Ziele der Parteirechten, der heutigen Mehrheit. Es spiegelt das Stimmungsbild bei der Mehrheit der Partei nicht mehr wider.

Es bleibt festzustellen, dass die Ziele der AfD zumindest stark der Demokratie schaden könnten bzw. die Demokratie und somit unsere Pluralität sowie unseren Parlamentarismus zerstören könnten.

Steven Levitsky  und Daniel Ziblatt [5] stellen in vier Hauptindikatoren autoritären Verhaltens in den Fokus:

1. Ablehnung demokratischer Spielregeln (oder schwache Zustimmung zu ihnen)

Wird die Verfassung abgelehnt oder die Bereitschaft ausgedrückt, sie zu missachten?…

2. Leugnung der Legitimität politischer Gegner

Werden politische Gegner als Staatsfeinde oder Gegner der bestehenden Ordnung diskreditiert?…

Wird behauptet, politische Gegner stellten eine existentielle Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der vorherrschenden Lebensweise dar?…

3. Tolerierung von oder Ermutigung zu Gewalt

Gibt es Verbindungen zu bewaffneten Banden, paramilitärischen Gruppen, Milizen, Guerillas oder anderen Organisationen, die unzulässige Gewalt anwenden?…

Wird die Gewaltanwendung von Anhängern stillschweigend gebilligt, indem keine eindeutige Verurteilung und Bestrafung stattfindet?…

4. Bereitschaft, die bürgerlichen Freiheiten von Opponenten, einschließlich der Medien zu beschneiden

Werden Kritikern in konkurrierenden Parteien, in der Zivilgesellschaft oder den Medien rechtliche Schritte oder andere Maßnahmen angedroht?…

Wir müssen also aufpassen, dass solche Tendenzen frühzeitig erkannt werden und dagegen vorgegangen wird.

Wie konnte der Aufstieg der AfD diese Formen annehmen?

Timo Lochocki [3] ist aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit zu folgendem Ergebnis gekommen:

…Der Aufstieg der AfD hat zu großen Teilen eine missglückte öffentliche Kommunikation von CDU/CSU und SPD in der Flüchtlingspoltik ab 2015 zur Ursache. Das Migrationsthema ist neben Außen- und Europafragen der wichtigste Themenkomplex der sogenannten Identitätspolitik, an deren medienwirksamer Kommunikation sich die Zukunft der Volksparteien entscheiden wird…

Timo Lochocki [3] sieht starken Handlungsbedarf im konservativen Bereich:

…Wir brauchen [stattdessen] mehr Ideen, Organisationen und vor allem medienwirksame Debatten, die die Gemeinsamkeiten aller betonen, die in Deutschland leben. Sich allein für spaltende Konzepte wie Multikulturalismus oder Assimilation einzusetzen, ist daher kontraproduktiv…

…Die Ausstattung der Sicherheitsbehörden und aller staatlichen Organe muss einen robusten Rahmen für dieses gedeihliche Zusammenleben setzen…

…Hieraus folgt, dass Justiz, Polizei, Bundesgrenzschutz und verwandte Organisationen personell deutlich gestärkt werden müssen, um ihren gewachsenen Aufgaben in einer pluralen Gesellschaft nachzukommen. Dieses Land braucht deutlich mehr Polizisten, mehr Staatsanwälte und mehr Richter…

Es bedarf also einer kohärenten Flüchtlingspolitik an den europäischen Außengrenzen, die humanitäre, wirtschaftliche und geopolitische Anliegen vereint. Dazu notwendig sind ein militärisch-polizeilicher Schutz der EU-Außengrenzen und eine funktionierende Asyl-Bürokratie innerhalb der EU und in den EU-Partnerstaaten…

…Die deutschen Sicherheitsbehörden und die Bundeswehr müssen daher vor allem in die Lage versetzt werden, eine noch stärkere mit wichtigen Partnerstaaten einzugehen. Und zweitens müssen sie so ausgestattet werden, dass sie die deutsche und europäische Sicherheit notfalls mit (quasi-)militärischen Mitteln verteidigen können. Unsere neuen (alten) geopolitischen Rivalen heißen Russland und China…

…Wenn wir also das liberale Deutschland erhalten wollen, brauchen wir empathische Gesprächsangebote an Globalisierungsskeptiker, eine massive personelle Aufrüstung von Polizei und Justiz, begrenzte und kontrollierte Zuwanderung, klar gesicherte EU-Außengrenzen und ein schlagkräftiges gesamteuropäisches Militär und Geheimdienste, die es mit Russland und China aufnehmen können…

Die Volksparteien müssen also in den nächsten drei Jahren bis zur Bundestagswahl alles tun, um diese o.g. Forderungen von Lochocki zu erfüllen, um das Vertrauen und Sicherheitsbedürfnis der konservativen Bürger wieder zurück zugewinnen.

 

 

[1] Omar El Akkad, Roman, „American War“, 2. Auflage August 2017, 2017 Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

[2] Jonas Jonasson, Roman, „Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten“, 1. Auflage, 2018 bei C. Bertelsmann, München

[3] Timo Lochocki, „Die Vertrauensformel“, Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

[4]Franziska Schreiber, “ Inside AfD“, 2018 Europa Verlag GmbH & Co. KG, München

[5] Steven Levitsky / Daniel Ziblatt, „Wie Demokratien Sterben“, 1. Auflage Mai 2018, Verlagsgruppe Random House FSC Noo1967, Deutsche Verlags-Anstalt, München

Hat die SPD die Kraft, die Zukunft der Mittelschicht zu gestalten?

Die SPD hat in Folge drei Wahlkämpfe (2009, 2013, 2017) nach 1998 verloren. Sie konnte die Mittelschicht nicht erreichen, so wie noch Gerhard Schröder 1998. Wie konnte das passieren?

Peer Steinbrück [1] analysiert messerscharf: Die Funktionäre und Mandatsträger der SPD setzen sich für Minderheiten ein, vergessen dabei aber die Mehrheiten der Mitte. Diese Funktionäre und Mandatsträger sind nicht in der Lage die Realitäten zu erkennen: Die Mitte erwartet „Innere Sicherheit und Ordnung“; die Funktionäre und Mandatsträger sehen jedoch eher die Rechte von Schwulen und Lesben im Vordergrund stehen, obwohl empirisch ermittelt wurde: …73 Prozent der Befragten [meinen], dass die Politik mehr tun müsse, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten… stellt Peer Steinbrück fest. Zudem konzidiert Steinbrück: …Am 24. September [2017] erhielten die großen Parteien die Quittung dafür, dass sie dem Thema Flüchtlinge, Zuwanderung und Integration auch im Kontext der inneren Sicherheit ausgewichen waren…

Als wesentliches Manko der SPD erkennt Steinbrück, dass sich die SPD offensichtlich um sich selbst dreht:

…Weil das interne Gespräch dominiert, fehlen der SPD bis heute eine intelligente Analyse des digitalen Kapitalismus in seinen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen und einigermaßen barrierefreier Zugang zur „produktiven Klasse“ mit ihren Wissensarbeitern“…

Die Folge ist, dass eine schweigende Mehrheit sich abwendet und den Kreis des Politischen und der Politik entweder ein für allemal verlässt oder sich eine neue politische Adresse sucht…

Steinbrück fasst vier wichtige Gründe zusammen, die zum politischen Kursverfall der SPD entscheidend beigetragen haben:

  • …ihrer historischen Funktion, ein Gegengewicht zu einem entfesselten und entgrenzten Kapitalismus zu sein, zu wenig Folge leistet,
  • in ihrem Universalismus allem Bodenständigen in Sport-, Mieter-, Kleingarten-, Karnevals-, Schulvereinen und so weiter als „kleinbürgerlich beschränkt“ entsagte,
  • in ihrem Verständnis als Gesamtbetriebsrat der Nation zwar Unwuchten zu korrigieren sucht, aber keine faszinierende Zukunftsidee und Horizonterweiterung lieferte und
  • in ihrer Minderheitenpolitik und „Vielfaltseuphorie“ den Erwartungen und Anliegen einer Mehrheitsgesellschaft, die durchweg nicht aus Entrechteten und Geknechteten besteht, nicht genügend Aufmerksamkeit widmete.

Heiko Maas [2] kommt zu dem Schluss, dass die soziale Frage wieder gestellt werden muss:

…Die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Die Frage nach anständigen Löhnen, nach bezahlbarem Wohnraum, nach gesicherter Versorgung im Alter. Wenn die Politik in den letzten beiden Jahrzehnten versäumt hat, Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen, dann vor allem diese. Zugleich haben wir zugelassen, dass Rechtspopulisten die echten Sorgen verschleiern, indem sie durch herbeigeredeten Ängsten ersetzen.

…Das immer mehr Menschen in Deutschland ihre Miete nicht bezahlen können: Das ist ein echtes Problem. Das Familien immer öfter zwei Einkommen brauchen, um über die Runden zu kommen; dass viele Menschen jahrelang auf Hartz IV hängen bleiben und dann als stigmatisiert gelten; dass diejenigen, die Arbeit haben, häufig nur befristete Verträge bekommen, obendrein zu oft in Leih- und Zeitarbeitsmodellen, die das Leitbild der sozial abgesicherten, dauerhaft Beschäftigung aushöhlen; dass viele Rentner nur so gerade das Existenzminimum haben: Das sind echte Probleme.

Zudem stellt Maas Fragen, wo sozialpolitischer Handlungsbedarf besteht:

…das nach wie vor undurchlässige Bildungssystem in Deutschland, das dazu beiträgt, prekäre Lebensverhältnisse über Generationen hinweg zu zementieren,…zu überwinden.

Leistungsgerechtigkeit. Wir müssen sicherstellen, dass die Arbeitenden bei uns angemessen entlohnt werden.

Weiter zurückdrängen müssen wir die Leih- und Zeitarbeitsmodelle, die ein Hauptsymptom für die neoliberale Prekarisierung das Arbeitsmarktes sind.

Gegen Steuerflüchtlinge vorgehen anstatt gegen Flüchtlinge zu hetzen! Selbst der jeden Linksdrall unverdächtige Focus beziffert die Summe, die dem deutschen Fiskus pro Jahr durch Steuerflucht entgeht, auf 100 Milliarden Euro. Das ist ein Vielfaches der Kosten, die dem Staat durch Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten entstehen. Doch ausgerechnet beim steuerlichen Bankgeheimnis – das für Steuerhinterzieher die wichtigste Verdunklungsmöglichkeit bildet und dringend abgeschafft gehört – entdeckt die AfD ihr Herz für den Datenschutz.

Weiterhin fordert Maas dazu auf, sich gegen den sogenannten, gefühlten Kontrollverlust zu wehren:

…Den Zusammenhang zwischen der weltweiten Finanzkrise und der Popolismuswelle sollten wir ohne Scheu benennen und ergründen.
…wir sollten ruhig nachfragen, wie sie [AfD] es denn mit dem tatsächlich außer Kontrolle geratenen Abstrom von Steuerflüchtlingen halten.

Zudem stellt sich die Frage, welche Zukunftsprobleme stellen sich auch für die SPD dar?

Christoph Bausum et. al. [3] sehen „Schwierige Probleme in Sicht“

…Für die Zukunft werden die UN und ihr Behördensystem weniger dazu beitragen, neue Verhaltensstandards in umstrittenen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Genomchirurgie oder Human Enhancement zu setzen, weil Staaten, private Akteure und wissenschaftliche und technische Kreise divergierenden Werte und Interessen vertreten, weil in Fachwelt und Politik gewaltige Unterschiede bei den Wissensständen herrschen und weil sich der technologische Wandel deutlich schneller vollzieht, als Staaten, Behörden und internationale Organisationen Standards entwickeln, Weichen stellen, Regularien errichten und Normen vorgeben können. All diese Faktoren wirken Bemühungen, eine gemeinsame Agenda zu erstellen, bremsend entgegen.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD [4] gibt es viele gute Deutschland stabilisierende Ansätze, die zügig und für die Bürgerinnen und Bürger wirksam umgesetzt werden müssen. Erst wenn die Wählerinnen und Wähler erkennen, dass der durch die Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015 ausgelöste, gefühlte Staats-Kontrollverlust wieder glaubhaft hergestellt werden kann und wird; erst dann wird die Anhängerschaft der „Altparteien “ u.a. der SPD, wieder steigen. Daran muss die SPD glaubhaft arbeiten, wenn sie sich wirklich erneuern will.

 

 

[1] Peer Steinbrück, „Das Elend der Sozialdemokratie Anmerkungen eines Genossen“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2018

[2] Heiko Maas, “ Aufstehen statt wegducken Eine Startegie gegen Rechts“, Piper Verlag GmbH, München 2017

[3] Christoph Bausum, Enrico Heinemann und Karin Schuler, „Die Welt im Jahr 2035 gesehen von der CIA und dem National Intelligence Council Das Paradox des Fortschritts“,  Aus dem Englischen von Christoph Bausum, Enrico Heinemann und Karin Schuler“, 2. Auflage. 2018, Verlag C.H. Beck oHG, München 2017

[4]Michael Wolff, „Fire and Fury, Inside the Trump White House“, 2018 by Michael Wolff, Henry Holt Company, New York

[4] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, „Ein neuer Aufbruch für Europa Eine neue Dynamik für Deutschland Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Berlin, 7. Februar 2018

Der Wählerwille im Einflussbereich von „Sirenenservern“!

Das Internet wurde in den USA in der militärischen Forschungseinrichtung DARPA entwickelt. Sie dominieren die schnellsten Leitungen. Cisco ist der größte Netzwerkhersteller, Amazon bietet die größte Cloud weltweit an. Google, Amazon, Ebay, Skype, Apple, Microsoft, Facebook & Co sind Firmen, die Standards setzen und den Markt beherrschen. Im Netz sind die USA die unangefochtene Supermacht.

Mehr als 90 Prozent der deutschen Internetnutzer durchsuchen das Netz mit Google, Facebook hat in Deutschland im Januar 2014 rund 27 Millionen Mitglieder, von denen nach Unternehmensangaben rund 19 Millionen die Seite täglich besuchen, bezeugen Marcel Rosenbach und Holger Stark in ihrem Buch, „Der NSA-Komplex“[1].

Markus Morgenroth [2] beschreibt in seinem Buch, „Sie kenne dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!“, was E-Mails über den Verfasser verraten: „…Betrachtet man sie allerdings im Ganzen, vergleicht und verknüpft sie miteinander, setzt sie also in einen Zusammenhang, entsteht ein Bild über das Verhalten, Handeln, die Hintergedanken und die psychische Verfassung eines Mitarbeiters…“
Dieses war möglicherweise u.a. ein Grund, warum der E-Mail-Server von Hillary Clinton kurz vor der US-Präsidenten-Wahl 2016 gehackt wurde und die E-Mails veröffentlicht worden sind.

Die generelle Frage nach den Beeinflussungsmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler durch Superserver von den Parteien oder der jeweiligen Cloud von u.a. Microsoft , Amazon, Facebook u.a. sollte bei der bevorstehenden Bundestagswahl am 24. September 2017 kalkuliert werden.

Jaron Lanier schreibt in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“[3]:

…Die Kandidaten der Parteien heuern in der Regel Datenspezialisten an und verwenden dieselben Algorithmen und Computerleistungen, die es auch jedem anderen Sirenenserver ermöglichen, die Welt zu seinem Vorteil zu verändern. Das interessante an Wahlen ist, dass das Gesetz mehrere konkurrierende Kandidaten vorschreibt. In der Ära von Big Data ist so etwas schon ungewöhnlich und macht Wahlen zu einem Sonderfall, da das „Ausschlussprinzip“ nicht greift. Wie bei den Mobilfunkanbietern gibt es zahlreiche Sirenenserver, die dieselbe Nische besetzen.

Wenn Wahlen wie Märkte funktionieren würden, würde sich eine siegreiche Partei etablieren und hartnäckig ihre Position behaupten. Das ist ein Fehlermodus der Politik, in dem sich ein „Parteiapparat entwickelt. Der Begriff ist sehr aufschlussreich. Der Prozess ist deterministisch wie bei einem Apparat, einer Maschine. Die Demokratie stützt die Gesetze, die einer marktähnlichen Dynamik Vielfalt aufzwingen, obwohl sich diese Dynamik eigentlich zu einem Monopol entwickeln würde.

Wenn Demokratien Bestand haben sollen, müssen sie so strukturiert sein, dass sie einer „Starsystem“-Politik widerstehen. Denn wenn man dieses Prinzip im Netzwerkzeitalter anwendet, führt das zu regelmäßigen Konfrontationen zwischen den politischen Kampagnen, die auf spiegelbildlichen Datenmengen basieren…

Vielleicht werden wir mehr Wahlen erleben, die entweder extrem knapp ausgehen oder extrem einer Seite zuneigen. Wenn die Sirenenserver gut betrieben werden, erreichen sie vielleicht einen Gleichstand untereinander, doch wenn einer besser ist als der andere, könnte der Vorteil drastisch ausfallen…Das ist ähnlich wie beim Klimawandel: Lange gab es nicht genügend Daten, um ihn definitiv zu erkennen, allerdings hat es nun den Anschein, als ob sich ein eindeutiges Muster abzeichnet…

Heutzutage informiert eine politische Datenbank die lokalen Wahlkampfhelfer über optimale Vorgehensweisen, Stimmen zusammenzubekommen. Dem Wahlkampfhelfer ergeht es ähnlich wie einem Allgemeinarzt, der mehr und mehr nur noch Handlanger für die Sirenenserver der Pharmakonzerne und Versicherungen fungiert.

Das Problem bei der Optimierung der Welt durch einen Wahl-Sirenenserver ist dasselbe wie bei allen anderen Arten von Sirenenservern. Kurzfristig funktioniert das durchaus, allerdings entfernt sich der Sirenenserver immer weiter von der Realität. So, wie vernetzte Server, die Musik für für uns aussuchen, keinen wirklichen Musikgeschmack haben, verfügt ein Rechner, der per Cloud-Computing Politiker aussucht, nicht wirklich politische Klugheit.

Der Vorgang löst sich immer stärker von den Ereignissen in der realen Welt ab. Eine politische Botschaft wird zurechtgefeilt und getestet. Die Feedback-Signale werden in die Statistik eingegeben. So, wie die Big Data in der Wirtschaft mit niedrigerem Wahrheitsanspruch als die Big Data in der Wissenschaft funktionieren, so verhält es sich auch mit den Big Data in der Politik.

Optimierung bedeutet nicht unbedingt Wahrheit. Vom US-Wahlkampf 2012 hieß es häufig, er hätte sich weiter von den Fakten entfernt als je zuvor in der Geschichte. Früher konnte man noch keine zentralen Server verwenden, um jede Person ausfindig zu machen, die auf eine paranoide Hetze gegen Texas anspringen würde. Heute können wir das mehr oder weniger, aber das heißt nicht, dass diese Paranoia in irgendeiner Weise gerechtfertigt oder nützlich wäre.

Wenn die Partei mit dem größten/besten Rechner gewinnt, dann spielt ein auf Argumenten gründender politischer Dialog keine große Rolle mehr. Die Realität verliert an Relevanz, genau wie bei den Big Data der Wirtschaft.

„Big Data“ bedeutet, dass dem großen Geld in der Politik eine größere Rolle zukommt. Wenn man die Demokratie erhalten will, gilt umso mehr, dass die Mittelschicht zusammengenommen mehr Geld haben muss als die Eliten, die Sirenenserver einsetzen könnten. Die Glockenkurve muss die „Starprinzip“-Kurve übertrumpfen.

Wenn in Wahlkämpfen große Firmen nur bestimmten Parteien große Wahlkampfspenden zukommen lassen, kann man sich ausrechnen, welche Partei verlieren wird.

Ein weiteres Problem ist, dass Medien die öffentliche Meinung manipulieren könnten, beschreibt Daniel Domscheit-Berg in seinem Buch, „inside Wikileaks“ [4].

Zudem sind sogenannte Cyber-Krieger bzw. professionelle Hacker in der Lage Wahlkämpfe u.a. durch „Fakenews“ zu beeinflussen, insbesondere in der letzten Phase des Wahlkampfes. Der Wähler wird verunsichert und geht möglicherweise gar nicht zur Wahl oder setzt das Kreuz an der falschen Stelle, wie z.B. die letzte Wahl in den USA gezeigt hat. Planspiele haben gezeigt, dass der sogenannte „First-Mover-Advantage“ die Instablität in der Krise erhöht, für Anspannung sorgt und zum Überlegen keine Zeit lässt, beschreiben Richard A. Clark Mit Robert K. Knake im Buch „WORLD WIDE WAR“ [5].

 

[1] Marcel Rosenbach und Holger Stark, „Der NSA-KOMPLEX Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung“, 1. Auflage, 2014 Deutsche Verlags-Anstalt, München

[2] Markus Morgenroth, „Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! Die wahre Macht der Datensammler“, 2014 bei Droemer Verlag, München

[3] Jaron Lanier, „Wem gehört die Zukunft?“ Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt, Aus dem amerikanischen Englisch von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer, 1. Auflage 2014, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

[4] Daniel Domscheit-Berg, „inside Wikileaks Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2011

[5] Richard A. Clark Mit Robert K. Knake, „WORLD WIDE WAR Angriff aus dem Internet“, Deutsch von Heike Schlatterer und Stephan Gebauer, 1. Auflage 20011, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

 

 

Bundestagswahl 2017

Die für den 24.09.2017 geplante Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus. Die Wählerinnen und Wähler haben die Wahl in der Bandbreite zwischen linksextrem und rechtsextrem. Die Linke, die CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und AfD sowie weitere kleine Parteien bieten den wahlrechtigten Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands Zukunfts-Programme an, weil gemäß Parteiengesetz alle Parteien Programmparteien sein müssen, wenn sie sich zur Wahl stellen.

Welche Partei oder Kandidatin bzw. welchen Kandidaten soll man wählen? Die großen Parteien CDU/CSU und SPD kämpfen um die Unterschiede ihrer Programme. Die FDP, Grüne, Linke und AfD wollen das Zünglein an der Waage spielen. Rot-Rot-Grün wird offensichtlich von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern nicht gewünscht, wie die Wahlen im Saarland, NRW und Schleswig-Holstein gezeigt haben. Die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt fest im Sattel und ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) rackert sich nach dem anfänglichen Hype redlich ab, ohne dass sich gemäß aktueller Prognosen der einschlägigen Institutionen die Wählergunst für die SPD wesentlich bessert.

Die Vergangenheit der letzten Wahlen hat gezeigt, dass Prognosen oftmals unzutreffend waren und das Wahlergebnis signifikant von den Vorhersagen abwich. Die letzten Wahlen in den USA, Holland, Frankreich, und Deutschland sind einige Beispiele hierfür. Der sogenannte BREXIT in Großbritannien ist ein weiteres Beispiel für die Ungenauigkeiten der Vorhersagen.

Wesentliche aktuelle, örtliche, krisenhafte Ereignisse, wie z.B. die Finanzkrisen, Flüchtlingskrise, die Nahost-Krise etc. sind Beispiele für die unvorhersehbaren Einflussbedingungen, die das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler lenken könnten.

Zudem versuchen die Parteien mit z.T. rabiaten Methoden den Wähler, die Wählerin von den Vorhaben anderer Parteien abzubringen und die eigenen Programmpunkte als die besseren hervorzuheben.

Die Methoden, um den wahlberechtigten Staatsbürger zu beeindrucken sind vielfältig:

Der Arzt Gustave Le Bon [1] hat schon 1895 ein Buch über die „Psychologie der Massen“ veröffentlicht. Er stellt u.a. fest: „Das geschriebene Programm des Kandidaten darf nicht sehr entschieden sein, weil seine Gegner es ihm später entgegenhalten könnten, aber das mündliche Programm kann nicht übertrieben genug sein.

Der Arzt und Psychoanalytiker Sigmud Freud hat die Erkenntnisse von Le Bon erweitert und veröffentlicht in dem Buch „Massenpsychologie und Ich-Analyse. Die Zukunft einer Illusion.“ Als Haupterkenntnis Freuds stellt Swetlana Katolnik [2] fest:

…Unzweifelhaft ist, dass …der durch Freud implementierte Begriff der Libido im Kontext der von Le Bon nicht weiter gelösten Suggestion und das darauf aufbauende System der libidösen Konstruktion einer Masse den überragenden Haupterkenntnisfortschritt der massenpsychologischen Betrachtung formen…

Zusammenfassend stelle ich fest, dass alle Mittel der Massenbeeinflussung von Le Bon bis Freud, der Medien und Neuen Medien für den Wahlkampf genutzt werden. Hinzu kommt die zielgerichtete, sogenannte Blasenbildung durch „Fake-News“ bzw. durch politische Lüge.

Instrument der sogenannten Blasenbildung ist u.a. die Nachrichten- APP „whatsapp“, wie die letzte Veröffentlichung der Infos von Herrn Poggenburg der AfD gezeigt hat. Andere Instrumente sind u.a. Facebook und Twitter, die zur sogenannten Blasenbildung durch Gruppenbildung führen könnten! Ein aktuelles Beispiel ist die manipulierende Berichterstattung über den G20-Gipfel auf Facebook gewesen, wobei Fake-News zur Diffamierung der Demonstranten und der Polizei benutzt wurden.

Durch Behauptungen von Personen mit hohem, sozialen Ansehen, häufige Wiederholungen, Nimbus (Prestige) und Übertragung (Suggestion) werden Wählerinnen und Wähler hemmungslos manipuliert.

Genutzt wird dieses Instrumentarium in allen Parteien mehr oder weniger. Professionelle „Hacker“, „Social Bots“, „Meme“ (Bildchen, Videos, Sprüche, Witze) und sogenannte „Trolle“ werden für die mediale Täuschung des Wählers von verschiedensten Mächten und Diensten eingesetzt, stellt Jamie Bartlett [3] in seinem neuesten Buch „The Dark Net fest. Sie sind auch u.a. im Webforum 4chan, in bestimmten Bereichen der Internetplattform Reddit zu finden. Ein Beispiel zu Meme ist Pepe der Frosch. Er wurde im letzten USA Wahlkampf genutzt. Aber auch der SPD-Kanzlerkandidat wird auf Reddit gefeiert.

[1] Gustave Le Bon, „PSYCHOLOGIE DER MASSEN“, 2007 RaBaKa Publishing, 27251 Neuenkirchen

[2] Swetlana Katolnik, „Wo bestehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Massenpsychologie bei Freud und Le Bon und worin liegt der Erkenntnisfortschritt von Freud?“, Studienarbeit, 1. Auflage 2008, 2008 GRIN Verlag

[3] Jamie Bartlett, Übersetzung von Frank Sievers, „THE DARK NET UNTERWEGS IN DEN DUNKLEN KANÄLEN DER DIGITALEN UNTERWELT“, 2. Auflage 2016, Börsenmedien AG, Kulmbach

Sicherheit im lokalen Netz und Internet real oder imaginär?

Wie verwundbar sind Computertechnologie, Netzwerke und Internetverbindungen? Fast täglich hören wir in Medien von Online-Diebstählen, Einbrüchen, Missbrauch und Manipulationen. Wir hören von Spam-Mails mit Werbung für pornografische Websites, und dass mit gestohlenen Kreditkarten Finanzbetrug durchgeführt wird. Zudem dringt das sogenannte „Dark Net“ u.a. in Verbindung mit dem globalen Terrorismus und der Propaganda der politischen Extremisten in unser Bewußtsein ein.

Richard Power [1] stellt fest: „Obwohl sich die Geschäftswelt auf eine vollständige Online-Präsenz zubewegt, stecken wir immer noch unsere Köpfe in den Sand und hoffen, dass das, was wir nicht sehen, uns auch keinen Schaden zufügen wird.“

Das tatsächliche Ausmaß der Computerkriminalität kennt niemand. Die meisten Organisationen weigern sich immer noch, den Ermittlungsbehörden Informationen über Computerkriminalität zugänglich zu machen. Und auf jeden erkannten Fall von Systemeinbruch oder unberechtigter Nutzung kommen wahrscheinlich mindestens zehn unerkannte Fälle.

Richard Power verdeutlicht in seinem Buch u.a. den Begriff „informationstechnologische Kriegsführung“ folgendermaßen:

Der Begriff informationstechnologische Kriegsführung wurde von verschiedenen Leuten in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Motiven benutzt, so Martin Libicki von der National Defense University.

„Die informationstechnologische Kriegsführung fassen zu wollen, ist wie in der  Geschichte, in der die blinden Männer das Wesen eines Elefanten ergründen wollten: Der, der das Bein des Elefanten berührt hatte, nannte ihn einen Baum, der, der seinen Schwanz angefasst hatte, nannte ihn ein Seil und so weiter. Ist eine gute Definition überhaupt möglich? Spielt es eine Rolle, ob man eine hat? Vielleicht gibt es gar keine Elefanten, sondern nur Bäume und Seile, die so tun als ob. Ein Einzelaspekt der informationstechnologischen Kriegsführung, der vielleicht von einem einzigen Kundenkreis hervorgehoben wird, schlüpft in die Rolle des gesamten Konzepts, was seine Wichtigkeit ungeheuer aufbläht.“

So wussten z.B. die Militär- und Geheimdienstexperten, die die Gesamtheit der Konzepte definierten, die unter den Begriff informationstechnologische Kriegsführung fielen, klar und deutlich, was sie darunter verstanden. Im Militärjargon versteht man unter IW so etwas wie Command and Control Warfare (C2W), elektronische Kriegsführung (EW), psychologische Operationen (PsyOps) usw.

Es gibt jedoch zwei Schauplätze, auf denen „informationstechnologisch Krieg“ geführt wird.

Der eine betrifft die, die wirklich mit der nationalen Sicherheit zu tun haben. Der andere ist ein Zirkus mit drei Arenen, auf denen sich Fantastereien, Übertreibungen und schamlose Geltungssucht tummeln. Man muss das eine von dem anderen unterscheiden.

Im Bereich der wirklichen „informationstechnologischen Kriegsführung“ kümmern sich höchste Regierungs- und Industriekreise um die drägenden Fragen der nationalen Sicherheit (z.B. Gefahr ernsthafter Angriffe auf lebenswichtige Infrastrukturen), Fragen, die zuerst von Militär- und Geheimdienstexperten aufgeworfen wurden.

M. Rogge et al [2] führen im Vorwort aus:

Das Computer Security Institute führt in diesem Zusammenhang seit mehren Jahren Befragungen bei amerikanischen Firmen durch, um mit einer statistischen Auswertung zur computerkriminologischen Lage aufwarten zu können. In diesen Umfragen geben im Schnitt 97 % aller Institutionen an, Gebrauch von Firewall- und Antiviren-Technologien zu machen. Doch lediglich 61 % der durch das Computer Security Institute befragten Firmen lassen verlauten, dass sie Einbrüche während des gesamten Jahres erkannt haben, 25 % behaupten hochmutig oder leichtsinnig, dass sie während dieser Zeit keinen erfolgreichen Einbruch zu verbuchen hatten, und 11 % der Befragten müssen gestehen, dass sie ihre Umgebung nicht im Griff haben und nichts über Attacken aussagen können.

anonymous [3] stellt die rhetorische Frage: „Unser Bedarf an Sicherheit: Real oder imaginär?“

Heute werden Web-Server meist von ganz normalen Leuten gewartet, von denen viele nur wenig Erfahrung im Sicherheitsbereich haben. Die Zahl der potentiellen Ziele ist überwältigend und wächst täglich. Doch trotz dieser kritischen Situation treiben Geschäftsleute die Bürger weiter voran. sie behaupten, das Internet sei sicher, man brauche sich keinerlei Sorgen zu machen. Ist das richtig? Nein.

Markteting-Leute lügen wie gedruckt. Entweder das, oder sie haben keine Ahnung, wovon sie reden. Die Wahrheit ist, das Internet ist nicht sicher, auch nicht ansatzweise.

Die Situation wird noch durch die Tatsache verschlimmert, daß auch Autoritäten der Computer-Industrie dazu beitragen, die Öffentlichkeit einzunebeln. Sie preisen ihre Sicherheitsprodukte als einzigartig an und geben damit Otto Normalverbraucher zu verstehen, daß alles in schönster Ordnung ist. Aber die Realität ist eine andere: Jeden Monat knacken Hacker oder Cracker einen weiteren Sicherheitsmechanismus, der als Industrie-Standard gilt.

Darüber hinaus beschäftigt sich Jamie Bartlett [4] in seiner journalistischen Arbeit rund um das sogenannte „Dark Net“ u.a. ausführlich mit Fragen und Auswirkungen der radikalen, gesellschaftlichen und politischen Bewegungen. Er begleitete zweieinhalb Jahre lang islamistische Extremisten durch Europa und Nordamerika um sich ein Gesamtbild von dem zersplitterten und zerstreuten Netzwerk der jungen Männer zu machen, die mit der Ideologie der al-Qaida sympatisieren.

Jamie Bartlett [4] schildert in der Einleitung seines Buches folgende Erfahrungen:

Ich wurde Moderator einer berüchtigten Gruppe von Trollen und verbrachte mehrere Wochen in Foren, in denen man erfahren kann, wie man sich am besten ritzt, am besten hungert oder am besten tötet. Ich erkundete die labyrinthische Welt der Tor Hidden Services, um nach Drogen zu suchen und Netzwerke mit Kinderpornografie zu durchforsten. Ich verfolgte Internetkriege zwischen Neonazis und Antifaschisten auf bekannten Social-Media-Plattformen und meldete mich in den neuesten Pornokanälen an, um mich über die aktuellen Trends in Sachen hausgemachter Erotika zu informieren. Ich besuchte anarchistische Bitcoin-Programmierern besetztes Haus in Barcelona, heruntergekommenen Clubhäusern von Arbeitervereinen, um mit extremen Nationalisten zu sprechen, und ein zerwühltes Schlafzimmer, um drei Frauen dabei zu beobachten, wie sie mit unzweideutigen sexuellen Handlungen vor laufender Kamera und Tausenden Zuschauern ein kleines Vermögen verdienten.

Jamie Bartlett stellt weiterhin fest:

Die Anonymität des Internets, die so etwas wie den Assassination Market erst möglich macht, bietet gleichzeitig Whistleblowern, Menschenrechtlern und Aktivisten Schutz und Raum.

Ich denke, wir sollten mehr für die Sicherheit in den lokalen Netzwerken und im Internet tun! Dazu gehören sinnvolle Passwörter, die aus eine Kombination von Zahlen, Sonderzeichen sowie große und kleine Buchstaben bestehen. Zwölf bis vierzehn Zeichen lange Passwörter sind eine akzeptable Größenordnung. Zweckmäßig konfigurierte Firewalls und Virenscanner sind aktuell zu halten. System-Updates sind regelmäßig erforderlich.

Weiterhin ist zu empfehlen, persönliche Daten regelmäßig (mindestens 1x pro Woche, sehr wichtige Daten täglich) auf einen externen Datenträger (DVD, Festplatte oder USB-Stick) zu sichern; vertrauliche E-Mails hochgradig, u.a. mit dem PGP-Standard (Pretty Good Privacy), zu verschlüsseln, HTTPS-Protokolle für verschlüsselte Webauftritte zu verwenden. Bei Nutzung von Online-Shops ist eine Zwei-Kanal-Authentifizierung zu empfehlen.

 

[1] Richard Power, „Attacken im Web Fälscher, Hacker, Datenklauer – Die Schattenseiten des Cyberspace“, 2001 Markt + Technik Verlag,München/Germany

[2] M.Rogge/M. Ruef/W.Gieseke/Uwe Velten, „Hacking Intern Angriffe, Strategien, Abwehr“, 2003 by DATA BECKER GmbH & Co. KG, 1.Auflage 2003

[3] anonymus, Übersetzung von Imke Schenk, Marion Thomas, „hacker’s guide sicherheit im internet und im lokalen netz“, 2001 by Markt + Technik Verlag, München/Germany

[4] Jamie Bartlett, Übersetzung von Frank Sievers, „THE DARK NET UNTERWEGS IN DEN DUNKLEN KANÄLEN DER DIGITALEN UNTERWELT“, 2. Auflage 2016, Börsenmedien AG, Kulmbach

Kann das noch demokratische Europa gerettet werden?

Einerseits stellen Matthias Weik & Marc Friedrich [1] fest: „Die EU ist überfordert, der Euro ist gescheitert und zerstört die europäische Idee. Die Südschiene Europas ist de facto bankrott; sie wird lediglich künstlich durch immense Subventionen und brutale Eingriffe in die Wirtschaft am Leben gehalten. Fakt ist: Die Südländer können und werden ihre Schulden niemals zurückzahlen! Wenn wir den Kern der europäischen Idee lebendig halten wollen, dann müssen den betroffenen Ländern Schuldenschnitte und Wirtschaftsaufbauprogramme nach dem Vorbild des Marschallplanes eingeräumt werden, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen hat.“

Andererseits stellt Daniel Stelter [2] die berechtigte Frage: „Deutschland, der Eurogewinner?“

Er argumentiert folgendermaßen weiter:

Wann immer die deutsche Position in der Eurokrise diskutiert wird, wird früher oder später – vor allem von ausländischen Kommentatoren – darauf hingewiesen, dass die Deutschen doch die eigentlichen Profiteure des Euro seien.

Stimmt das? Nimmt man die Perspektive des sprichwörtlichen „Mannes auf der Straße“ ein, so kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis.

Zu Zeiten der Deutschen Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währungen der Haupthandelspartner – der französische Franc, die italienische Lira, aber auch der US-Dollar – werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der D-Mark ab. Folglich war die deutsche Wirtschaft gezwungen, immer produktiver zu werden.

Wie heilsam die Wirkung einer starken Währung ist, lässt sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz ersehen. Das Wohlstandsniveau und die Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft sind weiter gestiegen, obwohl der Schweizer Franken über Jahrzehnte kontinuierlich an Wert gewonnen hat.

In den ersten Jahren nach der Euroeinführung profitierten die anderen Länder von dem deutlich niedrigeren Zinsniveau, welches sie von der Bundesbank auf die EZB übergegangenen Glaubwürdigkeit verdankten. Die Zinsen waren für die heutigen Krisenländer zu gering, was den bereits mehrfach erwähnten schuldenfinanzierten Boom auslöste. Für Deutschland, das damals an einer überhöhten Bewertung bei der Festlegung des Euro-Wechselkurses litt, waren die Zinsen jedoch zu hoch.

Die Rezession in Deutschland war deshalb schwerwiegender und dauerte länger, als es ohne den Euro der Fall gewesen wäre.

Deutschland war der kranke Mann Europas, während Spanien als Musterbeispiel für die gute wirtschaftliche Entwicklung galt. Erst später wurde deutlich, dass es sich in Spanien um eine gigantische, schuldenfinanzierte Immobilienblase handelte.

Um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, setzte Deutschland auf die Wiedergewinnung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit über Kostensenkung. Mit den stagnierenden Löhnen gingen auch die Steuereinnahmen zurück, während die Exporte zulegten. Der Euro hat es Deutschland also nicht „erlaubt“, Handelsüberschüsse zu erzielen; vielmehr hat er die Überschüsse geradezu erzwungen. Dass die Wirtschaft sich auf den Export konzentrierte, lag vor allem an der geringen Binnennachfrage.

Richtig ist: Die deutschen Unternehmen haben von der Lohnzurückhaltung in Deutschland und den schuldenfinanzierten Boom in den anderen europäischen Ländern profitiert. Die Exporte boomten.

Die Investitionsquote des Staates liegt nunmehr seit Jahren deutlich unter den Abschreibungen.

Die Schwäche der Binnennachfrage führt zu einem Ersparnisüberhang.

Als die Krise in Europa offensichtlich wurde, zogen deutsche Banken ihr Geld aus den Krisenländern ab. Dabei wurden sie entweder von öffentlichen Geldgebern abgelöst – Modell Griechenland – oder aber die Bundesbank musste den Geldabfluss durch die Gewährung von TARGET-II-Krediten ausgleichen. Das Risiko eines Zahlungsausfalls wurde damit sozialisiert und trifft auch jene deutschen Steuerzahler, die von dem Exportboom der letzten Jahre nicht profitiert haben und bei Schuldenschnitten zulasten privater Geldgeber weniger stark betroffen gewesen wären.

Auch von den Bemüungen der EZB, durch groß angelegten Ankauf von Staatsanleihen den Eurokurs zu drücken, die Kreditvergabe zu stimulieren, die befürchtete Deflation zu bekämpfen und damit am Ende Wachstum zu erzeugen, profitiert der Mann auf der Straße nicht.

Richtig ist: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft (IFW) in Kiel seit Krisenbeginn netto rund 60 Milliarden Euro an Zinszahlungen eingespart.

Richtig ist: Ein schwacher Euro hilft erneut der Exportindustrie. Doch für den Mann auf der Straße bedeutet er höhere Kosten durch steigende Importpreise und überdies verringert er den Effekt des fallenden Ölpreises.

Richtig ist außerdem: Die Vermögenspreise steigen. Doch das ist Umverteilung von unten nach oben. Während die Aktienkurse und Immobilienpreise steigen, erhält der Kleinsparer keine Zinsen mehr. Die DZ Bank beziffert den Verlust an Zinsen in den vergangenen fünf Jahren auf 190 Milliarden Euro.

Für den Durchschnittsdeutschen stellt sich die Geschichte folgendermaßen dar. Die Einführung des Euro führt zu einer langen Phase geringen Wachstums, hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Löhne.

Der Staat kürzte Ausgaben für Sozialleistungen und – viel schlimmer – für Infrastruktur und Investitionen.

Sind die Deutschen also wirklich die Hauptnutzer des Euro? Wohl kaum. Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden Europas nicht gegeben – und auch die hohen Exportüberschüsse -, dafür wohl aber einen höheren Lebensstandard und bessere Infrastruktur in Deutschland.

Auch acht Jahre nach dem Beginn der Krise im Jahre 2008 hat sich den grundlegenden Problemen des Euroraums nicht geändert.

Unterdessen hat sich die Politik von demokratischen Grundsätzen zunehmend entfernt. Immer mehr Entscheidungen werden von Gremien getroffen, die sich dem Votum der Wähler – wenn überhaupt – nur sehr indirekt stellen müssen.

Derweil nehmen die politischen Spannungen zu. In vielen Ländern sind in Bezug auf den Euro europakritische Parteien im Aufwind.

Die Bevölkerungen sind immer weniger  bereit, den Weg der internen Abwertung zu gehen. Das wird die weitere Entwicklung Europas in den kommenden Jahren nachhaltig prägen.

Das Erstarken der vielen rechtsradikalen Parteien in den europäischen Ländern und auch in Deutschland sowie die hohen Schuldenberge destabilisieren zunehmen unser demokratisches, politisches, finanztechnische, wirtschaftliches und soziales System.

Die EU bedarf eines dringenden Umbaues, dahingehend, dass die Souveränität der jeweiligen Staaten wieder hergestellt wird. Haupt-Aufgaben der EU könnten sein: gemeinsame Sicherheitspolitik und Wirtschaftspolitik. Wesentliche Entscheidungen sollten den jeweiligen, beteiligten Ländern überlassen werden.

 

 

[1] Matthias Weik & Marc Friedrich, „DER CRASH IST DIE LÖSUNG“, Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten, Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG, Originalausgabe, Köln, 20. März 2014

[2] Daniel Stelter, “ EISZEIT IN DER WELTWIRTSCHAFT“ Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen, 2016 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main,

Struktur der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)

Richard C. Schneider beschreibt in seinem Buch , “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT?“ u.a. die Struktur der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA):

„Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde ist das höchste Amt in der palästinensischen Politik. Er ist der Regierungschef und hat nicht nur, wie etwa in Deutschland , repräsentativen Charakter. Der Ministerpräsident wird direkt vom Präsidenten ernannt, also nicht vom Parlament oder gar vom Volk gewählt. Er ist nicht Teil des Parlaments und wird obendrein völlig unabhängig von der regierenden Partei bestimmt. Er sollte allerdings die Regierungskoalition im Parlament oder zumindest die stärkste Fraktion repräsentieren.

Im Juni 2005 verabschiedete das palästinensische Parlament ein Gesetz, das eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl von 88 auf 132 vorsah.

Nach dem palästinensischen „Grundgesetz“, das Arafat erst im Jahre 2002 unterzeichnete, ist die Struktur der PA in drei Teilen organisiert, wie dies für die meisten Demokratien gilt: in Legislative, Judikative und Exekutive. Allerdings: Die Judikative ist bis heute nicht ordentlich formalisiert worden.

Der Präsident der PA wird direkt vom Volk gewählt und ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der bewaffneten Kräfte (von einer Armee kann noch nicht gesprochen werden, da es einen palästinensischen Staat noch nicht gibt). In einem Anhang zum Grundgesetz, der 2003 verabschiedet wurde und möglicherweise eines Tages Teil der Palästinensischen Verfassung werden könnte, wurde festgehalten, dass die PA eine offizielle bewaffnete Streitmacht unterhält, die nach Schätzungen von Beobachtern zwischen 40 000 und 80 000 Mann stark ist. Gemäß den Abkommen mit Israel dürfen es nur 30 000 sein.

Die „Polizei“ verfügt über gepanzerte Autos und eine begrenzte Anzahl automatischer Waffen. Die Sicherheitskräfte haben, gemäß dem Abkommen mit Israel, die Verantwortung für die Bekämpfung von Terrorismus. Und sie müssen, müssten mit Israel die allgemeine Sicherheit koordinieren.“

Das Problem, das die PA seit ihrer Entstehung hat, ist ihre Doppelgesichtigkeit. Sie soll einst zur Regierung eines noch zu gründenden palästinensischen Staates werden. Im Grunde hat sie ja bereits Regierungsgewalt, aber sie hat sich nie entscheiden können, den Terrorismus als „Mittel der Politik“ aufzugeben. Viele Palästinenser argumentieren, es sei ihr legitimes Recht, für sie sind die Attentate (auch Selbstmordattentate auf israelische Zivilisten) Mittel des Befreiungskampfes, ihr „Unabhängigkeitskrieg“. Dass sie mit gezielten und gewollten Angriffen gegen Zivilisten alle Regeln des Kriegsrechts und der international anerkannten Normen verletzen, ist ihnen gleichgültig. Als unterdrückte Nation sehen sie sich nicht auf gleicher Augenhöhe mit einem bereits staatlich existierenden Feind, die Kriegsmittel sind notgedrungen andere, da man nicht über eine eigene Armee verfügt. Dabei übersehen die Palästinenser jedoch, dass sie zum Aufbau einer Eigenstaatlichkeit, die mit dem Friedensprozess von Oslo beginnen sollte, bereits die ersten staatlichen Institutionen ihr Eigen nennen: ein Parlament, eine Regierung, Ministerien.

Die Grenzen zum „Terror“ bleiben jedoch fließend, und Israel ebenso wie die internationale Staatengemeinschaft können sich nur schwer auf dieses Gebilde verlassen, das sich PA nennt. Der innere Weg der Palästinensischen Autonomiebehörde wird mitentscheiden, ob die Palästinenser endlich in hoffentlich naher Zukunft einen eigenen Staat haben werden – und können.

 

Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

EU-Israel-UNO: der israelisch-arabische Konflikt

Die Beziehungen zwischen der EU und Israel laufen auf zwei Ebenen ab. Auf der politischen Ebene versucht die EU eine Vermittlerrolle im Friedensprozess einzunehmen und zu helfen, aber auch eigene Interessen, die sich zum Teil von denen der Amerikaner unterscheiden, durchzusetzen. Die andere Ebene ist die pragmatisch-bürokratische. Im ganz normalen Alltag gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen der EU und Israel im Handel, in Wissenschaft, Kultur und Erziehung. Richard C. Schneider [1]

Aber erst die Besetzung nach dem Sechs-Tage-Krieg hatten diese Konflikte in Israel voll ausbrechen lassen. Von streng religiösen jüdischen Philosophen bis hin zu linksgerichteten Israelis hatten sich viele gegen die Okkupation ausgesprochen, wobei der jüdische Professor Yeshayahu Leibowitz davor gewarnt hatte, auch nur den kleinsten Teil der Palästinensergebiete zu halten, denn wenn wir nur einen kleinen Teil von dem schlucken, was wir erobert haben, werden wir viel schwächer werden. Eine weitere Million Araber wird alle Grundlagen unserer Existenz unterlaufen. Antonia Rados [2]

Im März 2012 beschrieb der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nach einem Besuch in Israel und dem Westjordanland die Lage in Hebron via Twitter wie folgt: „Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Dazu muss man wissen, dass Hebron rund 200.000 Palästinenser und 500 überwiegend rechtsextreme und gewaltbereite israelische Siedler leben. Auch der Apartheid-Vergleich ist nicht neu. Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu beispielsweise hat die Politik Israels gegenüber den Palästinensern widerholt mit der früheren Apartheid-Politik Südafrikas verglichen. Gabriel bezog seinen Apartheid-Vergleich ausdrücklich allein auf Hebron – gleichwohl geriet er umgehend ins Kreuzfeuer der Kritik. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe etwa zeigte sich empört und verlangte eine sofortige Entschuldigung für Gabriels „verbalen Totalausfall“. Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte am 17. März 2012: „Sigmar Gabriel … sonderte als ahnungsarmer Kurzbesucher in Israel und im besetzten Hebron einen flapsigen Facebook-Satz ab, der kein Beitrag zur ernsthaften Debatte über ein Israelis wie Palästinenser umtreibenden Problem ist. Michael Lüders [3]

Richard C. Schneider schreibt in seinem Buch, „WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT?“:

Einerseits verdankt Israel seine Existenz unter anderem der UNO, andererseits sieht sich Israel immer wieder von der UNO in die Ecke gestellt als Buhmann, als „böser Bube“ unter den Nationen.

Alles begann mit der Resolution 181 (II) vom 29. November1947. Es ging um die Frage der zukünftigen Regierung von Palästina. Die Resolution empfahl, dass die Briten als Mandatsmacht Palästina verlassen, dass das Militär spätestens zum 1. August 1948 aus dem Land sein müsse, dass ein unabhängiger arabischer (palästinensischer) und ein unabhängiger jüdischer Staat sowie eine besondere internationale Verwaltung für die Stadt Jerusalem, die von der UN getragen werde, ins Leben gerufen werden. Und dass schließlich in Jerusalem die Interessen aller Religionen, Christentum, Judentum und Islam, gewahrt werden sollen.

Die Resolution der UNO-Vollversammlung Nr. 273 vom 11. Mai 1949 lässt Israel als Mitglied der Vereinten Nationen schließlich zu.

Der gesamte Nahostkonflikt ist seitdem immer wieder von UNO-Resolutionen mit beeinflusst worden.

Die UNO-Resolution 3379 von 1975 hat entscheidend zum angespannten Verhältnis zwischen Israel und der UNO beigetragen. Die UNO erklärt darin, dass sie glaubt, der Zionismus sei eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung. Die Resolution zitiert dazu Resolutionen anderer transnationaler Organisationen, in denen der Zionismus als Bedrohung für den Weltfrieden und die Sicherheit angesehen wird, als rassische und imperialistische Ideologie. Und sie sagt wörtlich, dass die rassistische Regimes in Zimbabwe und Südafrika den gleichen imperialistischen Ursprung haben, dieselbe rassistische Struktur. Sie seien in ihrer Politik miteinander verbunden, die zum Ziel habe, die Würde und Integrität des Menschen zu unterdrücken.

Diese Resolution wurde 1991 von der UNO-Vollversammlung durch die Resolution 4686 widerrufen.

Doch die UN-Politik im Nahen Osten muss sich kritische Fragen gefallen lassen. Nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 wurde das palästinensische Flüchtlingsproblem zu einem Kernpunkt der weiteren Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen Nachbarn. Seit 1948 ist die UNO die wichtigste Organisation, die sich um das Schicksal der Palästinenser kümmert. Die meisten Flüchtlingslager werden von ihr betreut und verwaltet. Das es sie bis heute gibt, ist ein Ergebnis regionaler Politik.

Die arabischen Staaten hatten keinerlei Interesse daran, die Flüchtlinge aufzunehmen oder gar zu rehabilitieren, indem man ihnen zum Beispiel staatsbürgerliche Freiheiten und Rechte zubilligte. Im Libanon dürfen palästinensische Flüchtlinge bis heute nicht studieren oder arbeiten, sie haben bis heute nicht die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen.

[1] Richard C. Schneider, “ WER HAT SCHULD? WER HAT RECHT? Was man über den Nahostkonflikt wissen muss“, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007

[2] Antonia Rados, „Gucci gegen Allah Der Kampf um den neuen Nahen Osten“, Wilhelm Heyne Verlag, München, Aktualisierte Taschenbuchausgabe 11/2006

[3] Michael Lüders, „IRAN: DER FALSCHE KRIEG Wie der Westen seine Zukunft verspielt“, Verlag C.H. Beck oHG, München 2012