Der Tahrir-Platz verdankt seinen Namen einigen gebildeten ägyptischen Frauen. Sie haben sich vor ca. 90 Jahren demonstrativ den Schleier vom Kopf gerissen und zur Befreiung Ägyptens sowohl von den britischen als auch von der osmanischen Herrschaft aufgerufen.
Die ägyptische Frauenrechtlerin Huda Scha’arawi, die Klara Zetkin als Vorbild sah, hatte diese Aktion damals initiiert, nicht um zu provozieren, sondern um andere Frauen zu ermutigen, sich von niemandem bevormunden zu lassen. Sie wurde für ihre Aktion nicht als Häretikerin oder Provokateurin betrachtet, sondern als Menschenrechtsaktivistin, nach der man eine Straße in Kairo benannte. Heute, über 90 Jahre später, ist eine derartige Aktion auf dem Tahrir-Platz beinahe unvorstellbar.
Im März 2011 traf sich am Rande eines Medienkongresses in Berlin die tunesische Bloggerin Lina Mhenni, die eine zentrale Rolle während der Jasmin-Revolution spielte, auch wenn sie das selbst immer bestreitet. Die zierliche junge Frau hatte einen Blog mit dem harmlosen Namen „A tunesian girl“, der aber eines von vielen effektiven Mitteln gegen die Zensur war, die das Regime Ben Alis über die Medien verhängt hatte. Obwohl ihr Freund, selbst Blogger, von der Polizei entführt und gefoltert wurde, schrieb sie weiter. Sie initiierte eine Internetkampagne für die Freilassung ihres Freundes und gegen Folter und Zensur.
Die Ironie der Geschichte ist, dass Ben Alis Frau Leila Trabelsi, die das Kopftuch im lauzistischen Tunesien vehement bekämpft hatte, nun in Saudi-Arabien lebt, wo sie ohne Schleier das Haus nicht verlassen darf.
Nicht nur religiöse Fanatiker hatten etwas dagegen, dass Frauen öffentlich demonstrieren, sondern normale Tunesier. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Ben Ali und auch seine Frau gesetzlich garantierten, schien einigen im nachrevolutionären Tunesien nicht mehr willkommen zu sein.
Das ägyptische Pendant zu Lina Mhenni ist Israa Abdel-Fattah…Die junge Bloggerin ist die Mitbegründerin der Bewegung „6. April“, die an der Seite von „Kahlid Said“ auf Facebook für eine große Mobilisierung der Demonstranten während der Revolution, aber lange davor verantwortlich war. Israa war eine der ersten Ägypterinnen, die Ende 2007 ein Facebook-Account einrichteten, kurz nachdem das soziale Netzwerk in Ägypten bekannt geworden war.
Als die Jasmin-Revolution Mitte Dezember 2010 in Tunesien ausbrach verfolgte Israa die Ereignisse via Facebook und knüpfte Kontakte zu tunesischen Aufständischen. Am 25. Januar rief sie die Ägypter auf, nicht zu Hause zu bleiben, sondern in Scharen auf die Straße zu gehen. Sie wollte so viele wie möglich zum Tahrir-Platz mitnehmen, deshalb fing sie im Stadtteil Shubra an, in dem eine große koptische Gemeinde lebte.
Heute sitzt Israa als Mitglied der Jugendunion der Revolution mit den uniformierten Herren der Armee zusammen und verhandelt über die Zukunft Ägyptens. „Wir stehen kurz davor, unser Vertrauen in das militärische Etablissment zu verlieren. Wir verstehen viele Entscheidungen des Militärrates nicht, wir wissen immer noch nicht genau, was sie mit dem Land vorhaben“ sagt sie. „Unser Problem als Jugend, die diese Revolution zustande brachte, ist aber, dass wir nicht in der Lage sind, das Land zu führen. Uns fehlen die Expertise und all die Tricks. Deshalb müssen wir mit ihnen reden.
Die Revolution in Ägypten zeigte am 18. Tag ihr schreckliches Gesicht,
…das allerdings durch den Rücktritt von Mubarak überschattet wurde und kaum Beachtung fand. Während die Massen in Freudentaumel gerieten, stand die CBS-Korrespondentin Lara Logan umgeben von vielen jungen Männern. Logan schien überfordert und konnte kaum reden. Plötzlich rief einer aus der Masse „Sie ist eine Israelin.“ Ein anderer schrie: „Zieht ihr die Unterhose aus!“ Sie verlor den Kontakt zu ihrem Kameramann und dem Team.
Der Rest ist eine einzige Tragödie, für die es keine Entschuldigung geben kann. Während Zehntausende laut schrien „Erhebe deinen Kopf, du bist Ägypter“, warfen Dutzende ägyptische Männer die südafrikanische Korrespondentin auf den Boden, rissen ihr die Kleidung vom Leib, begrabschten sie überall und vergingen sich an ihr.
Das Problem ist vielschichtig. Lara Logan ist eine Frau, eine westliche, blonde, unverschleierte Frau, die als Israelin bezeichnet wurde, eine vierfache Diskriminierung in einem Land, in dem nach wie vor eines dieser vier Attribute ausreicht, um diskreditiert zu werden. Tatsache ist, dass Fälle von sexuellen Belästigungen und Übergriffe auf Frauen in den Straßen, Verkehrsmitteln und öffentlichen Einrichtungen in Ägypten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen habe.
Hamed Abdel-Samed, „Krieg oder Frieden Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“, 2011, Droemer Verlag, München