Wie konnte es dazu kommen, dass der 28-jährige Khaled Said am 07. Juni 2010 von zwei zivilen Polizisten in einem Internetcafé im Stadtteil Kleopatra der Mittelmeerstadt Alexandria erschlagen wurde?
Am 25. Januar 2011 kam es dann zum „Tag des Zorns“ der Arabellion in Ägypten.
Die Hintergründe hierfür sind vielfältig: (Hamed Abdel-Samad, Krieg oder Frieden, S. 163)
Ein Kopte fühlt sich zu Recht angegriffen, wenn er hört, dass die Kopten als „religiöse Minderheit“ in Ägypten bezeichnet werden. Es waren Kopten, die lange vor der arabischen Eroberung im 7. Jahrhundert in dem Land am Nil lebten. Und auch unter muslimischer Herrschaft blieb die Mehrheit der Ägypter christlich, bis zum 11. Jahrhundert. Das Gleiche galt für die Christen Syriens.
Zu Massenkonversionen zum Islam kam es erst während der christlichen Kreuzzüge (1096 – 1291). Die orientalischen Christen wollten den Verdacht von sich weisen, Kollaborateure der Kreuzritter zu sein; mit den Zielen westlicher Gotteskrieger wollten sie nicht identifiziert werden. Zudem suchten sie einen Weg, die hohen Steuern zu meiden, die Nichtmuslime damals entrichten mussten. Auch während der Zeit des Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert mussten die Christen den muslimischen Machthabern gegenüber mehr Loyalität zeigen als die muslimischen Bürger des Landes, um nicht als verlängerter Arm der Kolonialherren betrachtet werden.
Unter osmanischer Herrschaft lebten die orientalischen Christen in der Türkei sowie in der arabischen Welt zwar wie Bürger zweiter Klasse und waren von vielen Privilegien aus geschlossen, welche die muslimische Mehrheit genoss.
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches und am Ende des islamischen Kalifats hofften die orientalischen Christen, endlich als gleichbereichtigte Bürger in modernen Nationalstaaten leben zu können. Allerdings mußten sie befürchten, zwischen Nationalisten und Islamisten zu geraten und Opfer der Identitätskrise zu werden.
Der syrische Christ Constantin Zureiq (1909 – 2000) erfand den Panarabismus, um geographische und religiöse Grenzen zu transzendieren. Ein weiterer Vordenker der Bewegung ist Zaki Al-Arsuzi (1901 -1968), ein Anhänger der alawitischen Minderheit in Syrien. Im Ergebnis wurde von dem syrischen Christen, Michel Aflaq (1910 bis 1989), die syrische panarabische Ba’ath Partei (Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung) gegründet. In dieser Partei übernahmen meistens Alawiten die Führungsrolle. Alawiten haben eine liberale Haltung zu religiösen Geboten und auch zu Frauen, ordnen sich aber dem Islam unter. Sie werden von der Mehrheit der Muslime jedoch nicht anerkannt. Viele Christen fanden in der Ba’ath-Partei ihre politische Heimat.
Bis heute regiert die Einheitspartei von Assad unangefochten in Syrien.
Der Panarabismus suchte sich, was er brauchte, in der vorislamischen Geschichte zusammen und rekonstruierte alte arabische Mythen, wie zum Beispiel die Ideen von Krieg und Ehre, um eine neue Identität zu erschaffen. Eine Zeitlang nahm man Abstand von islamischen Vornahmen und kehrte zur vorislamischen arabischen Namensgebung zurück. Der Sozialist Nasser nannte seinen Sohn „Khaled“, der Alawit assad nannte seine Söhne „Magd“, „Basil“ und „Bashar“, der Nationalist Saddam nannte seine Söhne „Udai“ und „Qusai“, alles Namen von arabischen Kämpfern, die bereits vor dem Islam bekannt waren.
Der gemeinsame Feind Israel war der Treibstoff im Motor des Panarabismus, und die zahlreichen Kriege mit ihm befördeten die Wiederbelebung alter arabischen Kriegsmythen. Während orientalische Juden nach der Gründung des Staates Israel fluchtartig Ägypten, den Irak und Syrien verlassen mussten, lebten Alawiten und Christen relativ sicher und hatten zumindest keine staatlichen Repressalien zu gewärtigen.
Auch die syrischen Christen müssen fürchten, mit der herrschenden Elite der Ba’ath Partei identifiziert und von der Rebellion verfolgt zu werden. Die Rebellen fordern „Den Alawiten den Tod, die Christen nach Beirut“.
Auch in Syrien ist über die Jahre eine islamische Szene gewachsen, die sich nun mit dem Bröckeln der Diktatur mehr und mehr ans Tagelicht wagt. Einige irakische Christian, die nach 2003 den Irak verlassen mussten, kamen nach Syrien, wo sie auf mehr Toleranz hofften. Nun müssen viele von ihnen erneut die Koffer packen und nach einem Ort suchen, wo der Mensch nicht nach seinem Glauben beurteilt wird.